RC-Wettbewerb 2021: Bayerischer Sieger ist die AlzChem!
21. Juli 2021Fonds der Chemischen Industrie (FCI) – Sonderförderung „Fluthilfe weiterführende Schulen“
3. August 2021#Lösungsindustrie – es geht um die Nachhaltigkeit!
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was Sie mit „Chemie“ assoziieren?
Die meisten Menschen im unmittelbaren Umfeld reagieren dann gerne einmal mit ihren mehr oder weniger guten Erfahrungen aus der Schulzeit. Andere haben vielleicht rauchende Schlote von gewaltigen Industriekomplexen vor dem Auge – andere wiederum Experimente mit viel Farbe, Knall und Rauch oder gar die (Aus-)Wirkung der alkoholischen Gärung à la „Feuerzangenbowle“. Eher seltener bekommt man die Assoziation „Alles ist Chemie!“ – oder wer es moderner mag „Komisch, alles chemisch!“ – zu hören, die auf gleichnamige Bücher referenzieren, welche (unter vielen anderen) die Relevanz der Chemie für unser alltägliches Leben beschreiben.
Eine aktuelle Studie des Rheingold-Instituts im Auftrag von VCI und IG BCE bringt dieses paradoxe Spannungsfeld beim Blick auf das öffentliche Bild der Chemieindustrie eindrucksvoll auf den Punkt: Die Branche rangiert hier zwischen Teufelswerk und Lösungsindustrie.
Bei dieser Ambivalenz spielen naturgemäß viele Faktoren eine Rolle. Die obengenannte sehr lesenswerte Studie bietet hier tiefgreifende Einblicke – und gibt dabei auch Impulse, wie ein solches Paradoxon möglicherweise aufzulösen ist. Denn einerseits wird die Heilsbringerseite viel leichter verdrängt. Andererseits es ist wichtiger denn je, dass „die Chemie“ nicht nur als innovativer Problemlöser verstanden wird – sondern eben auch Rahmenbedingungen vorfindet, um diese Innovationen hierzulande entwickeln und umsetzen zu können.
DIE LÖSUNGSKOMPETENZ DER CHEMIE IST FÜR EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNG MEHR DENN JE GEFRAGT.
Die Chemie, die sich als Naturwissenschaft mit den Eigenschaften und der Umwandlung von Stoffen beschäftigt, hat seit ihrer systematischen Erforschung und der Entwicklung einer eigenen Industrie – der chemisch-pharmazeutischen Industrie – immer wieder wichtige „Lösungen“ für die Herausforderungen der menschlichen Zivilisation hervorgebracht. Sei es die künstliche Düngung Mitte des 19. Jahrhunderts, um Hungersnöte zu bekämpfen, sei es Anfang des 20. Jahrhunderts die Entdeckung der Kunststoffe, um bislang ungeahnte werkstoffliche Dimensionen zu erschließen oder sei es die Entdeckung von Antibiotika und deren Einsatz zur Behandlung bakterieller Infektionen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Dabei soll auch nicht verschwiegen werden, dass manche Lösungen für Herausforderungen der Vergangenheit heute wieder zu neuen Herausforderungen führen: Überdüngung und Gewässerbelastung, Kunststoffe in der Umwelt, Antibiotika-Resistenzen – um im Bild der obigen Beispielreihe zu bleiben. Aber auch Klima- und Umweltschutz, Kreislaufwirtschaft und (gerade mit Blick auf die Erfahrungen der Corona-Pandemie) Gesundheitsschutz – kurzum der Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung der menschlichen Zivilisation – schaffen gigantische Herausforderungen, die ohne die „Kunst des Stoffwandelns“, ohne die Chemie als Wissenschaft und Industrie gleichermaßen nicht zu bewältigen sind.
KLIMASCHUTZ IST CHEMIEKOMPETENZ – HIER WIRD SOGAR CO2 WIEDER ZUM ROHSTOFF.
Betrachtet man den Klimaschutz, so wird deutlich, dass ohne die innovativen Produkte der chemischen Industrie dieser gar nicht möglich ist.
Das eingängigste Beispiel sind hier Solarzellen, die ohne „Silizium in Reinstform“ nicht denkbar wären. Ganz nebenbei bemerkt: Silizium ist auch der Rohstoff zur Herstellung von Computerchips, was ihn zum unentbehrlichen Treiber der Digitalisierung macht.
Aber auch ein Windrad, das – egal ob an Land oder auf See – tagtäglich der Witterung und Naturgewalten ausgesetzt ist, kann nicht ohne Chemieinnovation auskommen: von High-Tech-Werkstoffen für gleichermaßen stabile und flexible Rotorblätter bis hin zu Hochleistungsschmierstoffen oder schützenden Beschichtungssystemen.
Bei der Wasserstoffwirtschaft steht mit der Spaltung von Wasser – oder auch bei anderen Erzeugungsarten – gar ein chemischer Prozess unmittelbar zu Beginn der Kette. Und die dafür nötigen Speziallösungen wie hocheffiziente Elektrolyse- oder Brennstoffzellmembranen, u.a. aus Fluorpolymeren, liefert die chemische Industrie ebenfalls zu. Natürlich ist die Branche auch federführend bei der stofflichen Nutzung von Wasserstoff im Rahmen von sog. Power-to-X-Prozessen.
Dabei zeigt sich einmal mehr, dass das „Stoffwandeln“ der Schlüssel schlechthin ist – denn die Chemie ist als einzige Branche in der Lage, das Klimagas CO2 auch als Rohstoff zu verwenden und daraus Werte zu schaffen – egal ob bei der Herstellung von „grünen Chemikalien“ wie z.B. Methanol, klimaneutralen Treibstoffen oder neuartigen Kunststoffen.
Auch für die Mobilität der Zukunft sind Chemieprodukte nicht wegzudenken, was man schon heute u.a. an Batteriematerialien, Reifen mit geringem Rollwiderstand und Leichtbauinnovationen festmachen kann. Ebenso bleibt der Gebäudesektor nicht außen vor, denn moderne Dämmstoffe, Dichtmassen und Spezialklebstoffe für isolierende Fensterverglasungen, immer effizientere LED-Technologien bis hin zum Waschmittel, das auch bei geringen Temperaturen eine hohe Reinigungsleistung erzielt, zahlen auf eine Verringerung der Emission von Klimagasen ein. So ließe sich die Liste allein für den Bereich Klimaschutz lange weiterführen.
CHEMIE KANN KOHLENSTOFFKREISLÄUFE SCHLIESSEN.
Die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft mit weitestgehend geschlossenen Energie- und Materialkreisläufen benötigt innovative Ideen und Technologien des „Stoffwandelns“. Am augenfälligsten ist dies beim Thema „Kunststoffrecycling“.
Der vielfältige Nutzen von Kunststoffen ist dabei unbestreitbar – egal ob Blutbeutel, Medizinprodukte (wie Herzkatheter oder Implantate), Lebensmittelverpackungen für Hygiene und Haltbarkeit, bei Bauprodukten (wie hochbeständigen Kunststoff-Rohren, Betonzusätzen oder Kunststoffabdichtungen), um nur ein paar Beispiele zu nennen. Hier zeigt sich aber auch, dass es dringend neuer Lösungen bedarf, um kreislauffähige Systeme zu entwickeln. Die Chemie ist hier stark engagiert. So wird durch Design-for-Recycling-Ansätze schon beim Produkt-/Werkstoffdesign die Recyclierbarkeit mitgedacht.
Aber auch chemische Recyclingprozesse können – komplementär zum mechanischen Recycling – eine neue stoffliche Verwertungsmöglichkeit für Abfallfraktionen schaffen, die bislang thermisch verwertet werden. Und nicht zuletzt ist auf das sukzessive Erschließen nachwachsender Rohstoffe als Basis für chemische Wertschöpfung hinzuweisen (z.B. für biobasierte Kunststoffe).
CHEMIE- UND PHARMAINNOVATIONEN MARKIEREN DIE MEILENSTEINE AUS DER CORONA-PANDEMIE.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie ist der Wert einer vitalen chemisch-pharmazeutischen Industrie besonders deutlich geworden. Von der Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln oder Masken, der Entwicklung von Testmöglichkeiten für mehr Sicherheit im Alltag bis hin zu Medikamenten und dem Impfstoff in Rekordzeit (egal ob vektorbasiert oder mit der neuen mRNA-Technologie): Es sind Chemie- und Pharmainnovationen, die die Meilensteine auf einem hoffentlich baldigen Weg aus der Corona-Krise markieren und Hoffnung auf eine neue Normalität geben. Dabei ist natürlich auch die Corona-Pandemie nur ein kleiner Teil dessen, worin die Branche im Gesundheitsschutz tätig ist – von der Arzneimittelforschung, neuen Therapiemöglichkeiten, Medizinprodukteentwicklung etc. wird auch weiterhin viel zu hören sein.
DIE #LÖSUNGSINDUSTRIE CHEMIE UND PHARMA STEHT VOR GROSSEN HERAUSFORDERUNGEN.
An dieser Stelle ließen sich noch viele weitere Bereiche aufzählen, in denen die chemisch-pharmazeutische Industrie wichtige Basisinnovationen für eine nachhaltige Entwicklung liefert oder in der Zukunft liefern kann.
Es stellt sich allerdings die Frage, warum die „Kunst des Stoffwandelns“ eine so herausragende Rolle in dem Geflecht der industriellen Wertschöpfung einnimmt. Der Grund ist, dass Chemie und Pharma vielfach mit (energieintensiven) Grundstoffen am Beginn solcher Wertschöpfungsketten (z.B. Polysilizium) stehen oder in späteren Veredelungsstufen (z.B. Beschichtung von Windrädern) zentrale Lösungsbausteine zuliefern. Wie bei einem Baum versorgt die Chemie als „Wurzel“ und „Gefäß“ unterschiedliche Wertschöpfungsketten – Stamm, Äste, Blätter – mit Innovationen, damit sich diese (weiter)entwickeln können. Deshalb sieht sich die Branche auch als #Lösungsindustrie.
Neben dem volkswirtschaftlichen Beitrag und der stetigen Herausforderung, Innovationen für nachhaltige Entwicklung zu generieren, steht die Chemie- und Pharmabranche hierzulande aber selbst vor großen Herausforderungen. Denn die anstehenden Transformationen hin zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft muss auch die Branche für sich selbst meistern. Das bedeutet u.a., klimaneutrale Produktion auf Basis von erneuerbaren Energiequellen aufzubauen und völlig neue Prozesse zu entwickeln. Und das Ganze muss, um Verlagerungseffekte in Regionen mit weniger ambitionierten Klima- und Umweltschutzvorgaben zu verhindern, im internationalen Wettbewerb gelingen.
Um hierfür ein fruchtbares Umfeld zu schaffen, bedarf es dringend der richtigen Rahmenbedingungen, die in weiten Teilen leider nicht im Ansatz zu erkennen sind oder durch dirigistische Interventionen eher verschlechtert werden. Ein besonders relevanter Baustein ist hierbei die Energiepolitik – hier fehlen weiterhin Antworten auf die zentrale Frage: Woher und in welcher Form kommt grüne Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen nach Deutschland? Für energieintensive Branchen wie die Chemie ist diese Frage essentiell – weder der Green Deal der EU noch nationale Klimaschutzbestrebungen geben hier belastbare Antworten; vielmehr setzen sie nur immer schärfere Zielvorgaben. Und das Ambitionsniveau wird auch in anderen Bereichen immer weiter nach oben geschraubt, wie z.B. in der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, die in der jetzigen Form die Zahl verfügbarer Chemikalien in der EU (und deren Anwendungen) drastisch verringern könnte und diese dem europäischen „Industrie-Wertschöpfungsbaum“ damit entzieht.
Und trotz der munteren Verschärfung von Zielvorgaben fehlen derzeit jegliche Impulse, die eine beschleunigte Umsetzung möglich machen. So ist nicht in Sicht, dass die viel zu langsamen Planungs- und Genehmigungsprozesse von Industrieanlagen und Infrastrukturvorhaben signifikant beschleunigt werden – obwohl die Zeit ja drängt. Stattdessen reihen sich weitere bürokratische Vorhaben mit exponentiellem Erfüllungsaufwand aneinander – vom EU-Null-Schadstoff-Aktionsplan für Luft, Wasser und Boden über Sustainable Finance bis hin zum Lieferkettengesetz, um nur einige Beispiele zu nennen.
TRANSFORMATION ODER TRANSLATION – INDUSTRIEPOLITIK ENTSCHEIDET, OB NACHHALTIGKEIT GELINGT.
Mit Blick auf die kommenden Jahre stehen wir daher vor einer entscheidenden Weggabelung. Gelingt es nicht, vom Pfad einer staatlichen Regulierungswut hin zu einer Ermöglichungskultur zurückzufinden, laufen wir Gefahr, keine ökologische Transformation zu bestreiten, sondern eine Translation von Industrieproduktion aus Deutschland und der EU heraus zu befördern. Und das mit weitreichenden Folgen für industrielle Wertschöpfung.
Um im Bild zu bleiben: Ganze Äste des Baumes könnten absterben, wenn Teile der Wurzel rausgerissen werden.
Deshalb braucht es eine Renaissance der Industriepolitik, die den nötigen Rahmen und Leitplanken für die technologieneutrale und marktgetriebene Entwicklung von nachhaltigen Innovationen und eine erfolgreiche heimische Industrieproduktion gewährleistet – in unserem Jahresbericht greifen wir hierfür einige Impulse auf. Denn Chemie und Pharma möchten auch in Zukunft als #Lösungsindustrie ihren Beitrag leisten, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern – man muss sie aber auch lassen!