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28. Februar 2020„Klimapolitik in der Sackgasse?“ – Interview mit Prof. Dr. Rudolf Staudigl und Prof. Dr. Robert Schlögl
„Klimapolitik in der Sackgasse?“
Prof. Schlögl (Wissenschaft) und Prof Staudigl (Industrie) zu Chancen und Risiken
Die Energiewende in Deutschland ist politisch beschlossen. Das ehrgeizige Ziel, klimaneutral zu werden, bestimmt die öffentliche Diskussion. Aber sind die Ziele realistisch? Hat man die richtigen Ansätze, um die Ziele zu erreichen? Zu diesen Fragen stehen für die Wissenschaft Prof. Dr. Robert Schlögl und für die Industrie Prof. Dr. Rudolf Staudigl, Vorstandsvorsitzender der Wacker Chemie, Rede und Antwort.
Prof. Schlögl, Prof. Staudigl, Sie bekennen sich zur Notwendigkeit, dem Klimawandel zu begegnen und setzen zugleich auf erneuerbare Energien. Das klingt wie das Regierungsprogramm. Und doch üben Sie an der Energiewende, wie sie in Deutschland angestrebt wird, deutliche Kritik. Wie passt das zusammen?
Prof. Robert Schlögl: In der politischen Diskussion stehen vor allem ehrgeizige Ziele, die wir erreichen sollen, im Vordergrund. Jahreszahlen werden in den Raum gestellt. Aber die Wege, wie die Klimaziele zu erreichen sind, werden eigentlich überhaupt nicht diskutiert. Geschweige, dass man zielführend handeln würde. Lassen Sie es mich bildhaft sagen: Das Ganze ist wie ein Eisberg. Und da wird nur an der Spitze gekratzt.
Aber das Zauberwort heißt doch erneuerbare Energien, eben aus Wind- und Solarkraft. Worauf wollen Sie hinaus?
Prof. Schlögl: Wir müssen eingestehen, dass erstens die Energiewende nicht nur eine Aufgabe für Deutschland allein sein kann, sondern weltweit Handlungsbedarf besteht. Und zweitens, wenn wir in Deutschland Ernst machen, werden wir niemals unseren Energiebedarf allein aus inländischen Quellen decken können.
Und das bedeutet?
Prof. Schlögl: Das bedeutet, dass wir wie bei fossilen Energieträgern auch bei erneuerbarer Energie auf Importe angewiesen sind. Im Augenblick stammt die Energie etwa zu 20 Prozent aus inländischen Quellen, der Rest wird importiert. Ein ähnliches Verhältnis ist auch bei erneuerbaren Energien realistisch. Weltweit steht das Zwanzigtausendfache des aktuellen Weltbedarfs an erneuerbarer Energie zur Verfügung. Wie können wir also erneuerbare Energien über weite Strecken transportfähig machen?
Sie denken an Überlandtrassen, wie sie bereits in Deutschland umstritten sind? Ist das realistisch, zumal aus Sicht der Industrie?
Prof. Rudolf Staudigl: Diese Stromtrassen, so wie sie in Deutschland geplant sind, werden in jedem Fall gebraucht, um Elektrizität aus erneuerbaren Quellen, aus den Windkraftwerken im Norden und den Solaranlagen im Süden deutschlandweit bereit zu stellen. Aber das ist nur ein Aspekt. Wenn wir europaweit denken, dann könnten sich in so sonnenreichen Staaten und Regionen wie in Griechenland, auf dem Balkan oder in Spanien enorme Mengen an Solarenergie ernten und auch exportieren lassen. Das funktioniert nicht nur über Überlandleitungen, sondern auch mit Hilfe katalytisch hergestellter Produkte wie Wasserstoff oder Methanol.
Prof. Schlögl: Der Export und Transport, ja die weltweite Verteilung der Energie, kann hervorragend über chemische Stoffumwandlung geschehen. Zum Beispiel durch die Nutzung von Solarstrom, dort, wo der leicht für Elektrolyse zu gewinnen ist: Wasser wird mittels Elektrizität aus erneuerbaren Quellen in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Wasserstoff kann dann nicht nur über Pipelines über weite Strecken transportiert, sondern auch mit Kohlenstoff zu weiteren energiereichen Verbindungen ausgebaut und in Tankschiffen transportiert werden. Dort, wo die Energie gebraucht wird, kann sie zurückverwandelt werden. Da können Sie Solarstrom oder Windkraft selbst in Feuerland ernten und trotz Transport immer noch einen respektablen Wirkungsgrad erzielen. Pflanzen nutzen nur ein halbes Prozent der Sonnenenergie; in der Technik sind über 20 Prozent realistisch.
Das klingt nach Science Fiction.
Prof. Staudigl: Science ja, aber nicht Fiction. Wie wir Energie umwandeln und transportieren können, das ist wissenschaftlich klar. Das ist alles gut erforscht. Deutschland ist in der Katalyse seit 100 Jahren in der Forschung aktiv und weltweit in der Anwendung führend. Und das gilt auch für den Anlagenbau, um diese Prozesse zu beherrschen und wirtschaftlich durchzuführen.
Prof. Schlögl: Die Industrie als Ganzes ist völlig in der Lage, die Aufgabe zu meistern, die technischen Lösungen bereit zu stellen.
Aber woran hakt es dann in der Praxis?
Prof. Staudigl: Es hakt daran, dass die Energiewende kein richtiges Management hat. Da hat man erst Ausstieg und Abschaltung beschlossen, ohne sich rechtzeitig um den Aufbau von neuen Infrastrukturen zur Versorgung mit Energie zu kümmern. Da wird Verwaltung als Management missverstanden. Da wird die Thematik zersplittert, anstatt als Gesamtaufgabe verstanden zu werden. Natürlich sind auch die Bereiche wie Verkehr oder Heizung wichtig. Aber schaut man aufs Ganze, dann sieht man doch, dass die Industrie einen enormen Energieverbrauch und damit auch Anteil am CO²-Ausstoß hat. Und der könnte deutlich reduziert werden, wenn man der Industrie den Umstieg auf elektrische Energie als Basis der Produktion wirtschaftlich schmackhaft macht.
Und wie sollte das geschehen?
Prof. Staudigl: Das könnte dadurch geschehen, dass man die Elektrizität zunächst einmal von allen politisch bedingten Steuern und Abgeben befreit. Ich betone immer wieder, dass der Strompreis für energieintensive Unternehmen unter vier Cent je Kilowattstunde liegen muss. Mit einem niedrigen Strompreis und mehr und mehr Strom aus regenerativen Quellen kann die Chemieindustrie sehr schnell Klimaneutralität erreichen. Und mit ihren Produkten trägt sie sowieso ganz massiv zur CO²-Reduktion der gesamten Industrie und der Verbraucher bei. Staat und Politik wiederum sollten die notwendigen Rahmenbedingungen setzen und für die Infrastruktur sorgen.
Was darf man sich darunter vorstellen?
Prof. Staudigl: Verlässliche politische Rahmenbedingen, das heißt, dass sie eine lange Gültigkeit haben und nicht permanent kurzfristig geändert werden. Investitionen für Jahrzehnte müssen kalkulierbar bleiben. Zweitens brauchen wir weltweit wettbewerbsfähige niedrige Strompreise. Und das dritte ist, dass die notwendige Infrastruktur aufgebaut wird – wie Stromleitungen und Pipelines zum Transport von Wasserstoff, aber auch Kraftwerke, in denen Wasserstoff in elektrische Energie umgesetzt wird. Wie so eine langfristig angelegte Umstellung funktionieren kann, das hat die deutsche Politik vor gut 50 Jahren bewiesen, als erstmals Kohle weitgehend durch Erdöl abgelöst sowie Pipelines und Raffinerien gebaut wurden.
So schnell wird sich aber so ein Technologiewandel nicht bewerkstelligen lassen.
Prof. Schlögl: Sicher nicht. Aber wir müssen damit anfangen. Wir können als Zwischenschritt, bevor ein weltweites Versorgungsnetz, so wie es jetzt für fossile Rohstoffe besteht, durch ein Versorgungsnetz für Energieträger auf Basis erneuerbarer Energien ersetzt ist, Erdgas als Brückentechnologie nutzen, Wasserstoff aus Erdgas gewinnen. Das würde die CO²-Bilanz deutlich verbessern und den Einstieg in die Wasserstoff-Technologie voranbringen. Frankreich ist hier bereits aktiv…
Aber…
Prof. Schlögl: Lassen Sie mich das noch weiterdenken: Wir bleiben ja in der Technologie nicht nur auf reinen Wasserstoff beschränkt. Wir können die Verbindungen noch weiter ausbauen, um einen sicheren Transport über weite Strecken zu ermöglichen, zum Beispiel durch Einbindung von Kohlenstoff. Ich denke da auch an – gewissermaßen Sekundär – -Kohlenstoff aus Kunststoff-Abfällen. Aber dann sollte dieser Kohlenstoff, der ja nicht mehr aus fossilen Quellen stammt, sondern aus dem Wirtschafts- und Klimakreislauf, nicht wieder mit Abgaben belastet werden. Sonst wird man diese Technologie aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Angriff nehmen, obwohl sie keine weitere Belastung des Klimas, sondern eine Stützung des Wasserstoffkreislaufs bedeutet.
Deshalb also Ihre Forderung, statt auf Dekarbonisierung, Defossilisierung in der Energiewirtschaft zu setzen.
Prof. Schlögl: Exakt.
Wie sehen Sie denn den Zeitrahmen für die Politik, um endlich die Weichen für eine nachhaltige Klimapolitik, wie Sie sie sehen, zu stellen? Ist es nicht schon zu spät?
Prof. Schlögl: Ich würde sagen, es ist 5 vor 12.
Prof. Staudigl: Eher 2 vor 12. Der Klimawandel zwingt zum Handeln. Außerdem ist es auf Dauer unverantwortlich, fossile Ressourcen wie Erdöl und Erdgas zu verbrennen. Das sind auch Rohstoffe für wertvolle Produkte für die wachsende Weltbevölkerung.
Wird das Problem in der Politik nicht verstanden? Gerade die Kanzlerin, Frau Merkel, ist doch promovierte Physikerin, ihr Mann ein renommierter Chemiker. Mehr naturwissenschaftliche Kompetenz war noch nie an der Spitze einer Bundesregierung.
Prof. Schlögl: Ja, das trifft sicher zu. Die Kanzlerin kann dennoch, auch wenn sie genau versteht, nicht einfach handeln. Was ich allerdings vermisse, ist ein klares Bekenntnis zu einer langfristigen und verlässlichen Strategie.
Und wie schaut es weltweit aus? Nun sind ja gerade Industrie- und Techniknationen wie Japan und China stark auf Energieimporte angewiesen und sich durchaus der Umweltproblematik der fossilen Rohstoffe bewusst.
Prof. Staudigl: Das stimmt. Und dort herrscht auch großes Interesse an Technologien, erneuerbare Rohstoffe, zum Beispiel mittels Gewinnung von Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffen zu nutzen und über weite Strecken zu transportieren.
Bleibt schließlich die Frage nach dem Preis.
Prof. Schlögl: Letztendlich werden wir alle den Preis der Energiewende mittragen müssen. Wenn sie nicht gelingt und der Klimawandel, menschengemacht, fortschreitet, mit dem Verlust von Lebensgrundlagen. Und wenn die Wende gelingen soll, dann müssen wir uns überlegen, ob die Politik den Wandel über Steuern und Abgaben oder die Industrie und Wirtschaft über die Preise finanzieren soll.
Prof. Staudigl: Und wenn man das Modell, wie vorgeschlagen, angefangen von der Entlastung der Strompreise über den Ausbau der erneuerbaren Energien und Förderung von Forschung bis zum Aufbau von Pilotanlagen konsequent umsetzt, dann sichert sich Deutschland zugleich einen Vorsprung in einer Schlüsseltechnologie, dazu Arbeitsplätze und eine respektable Wertschöpfung im Export dieser Technologien.
Interview: Ernst Deubelli