Mitgliederversammlung 2015 – Vorstandswahl und mahnende Worte
14. Juli 2015Durchwachsene Bilanz für die deutsche Chemie
23. Juli 2015Industrie 4.0: Digitale Transformation der Industrie
Digitalisierung und Industrie 4.0 — dies sind allerorten die Schlagworte und Fragestellungen, die derzeit in Wirtschaft, Politik und Medien diskutiert werden: Wie wird die Produktion der Zukunft aussehen? Welche Technologien und neuen Geschäftsmodelle werden eine Rolle spielen? Welche Auswirkungen hat der digitale Wandel für die Menschen in der Arbeitswelt und für die Gesellschaft insgesamt? Nachfolgend eine erste Begriffsklärung und Systematisierung des Sachverhalts.
Digitalisierung
Digitalisierung bedeutet, dass unsere Welt in maschinenlesbarer, digitaler Form erfasst und abgebildet wird. Gleichzeitig findet eine ständige Steigerung der Vernetzungsdichte von Menschen, Dingen und Informationen statt. Dies hat zur Folge, dass das Internet und digitalisierte Anwendungen sowohl beruflich als auch privat unabdingbar werden. Eine derartige Vernetzung bietet uns schon jetzt die Möglichkeit, schneller, effizienter und ressourcensparender Daten zu übermitteln und zu kommunizieren. Dieser digitale Wandel wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Für die Industrie bietet die zunehmende digitale Vernetzung industrieller Produktion große Innovations- und Produktivitätspotenziale, die es zu nutzen gilt.
Industrie 4.0
Der Begriff Industrie 4.0 steht dabei für ein neues Zeitalter der industriellen Produktion. Nach der Automatisierung steht nun die digitale Vernetzung im Vordergrund der nächsten Entwicklungsstufe neuer Innovationen, Geschäftsmodelle und Prozesse in der gesamten Wertschöpfungskette.
Die Zukunftskonzepte von Industrie 4.0 zielen dabei auf die autonome, intelligente Steuerung von digitalisierten Produktions- und Logistikprozessen ab. In diskreten Fertigungsprozessen (Sückgutfertigung) sollen Bauteile, zum Beispiel über einen RFID-Chip, sämtliche Auftrags- und Produktionsdaten mit sich führen. Produkte steuern sich somit eigenständig in der Produktion, vernetzen sich mit Maschinen, tauschen Informationen aus und interagieren mit ihrer Umgebung. Dabei dient das Internet als Infrastruktur und wird oft auch als »Internet der Dinge« bezeichnet. Die Maschinen von morgen werden erweiterte Fähigkeiten besitzen: selbst Nachschub bestellen, Wartungstechniker herbeirufen oder vor Problemen in der eigenen Technik warnen. Dies soll neuer Standard werden.
Basis hierfür ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch die Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Akteure. Die Auswertung dieser Daten ermöglicht es, die Wertschöpfungskette im Hinblick auf Ressourcenverbrauch, Kosten und Verfügbarkeit optimal zu steuern.
Bedeutung für die Chemie-Branche
Die chemische Industrie ist eine Prozessindustrie mit hohem Automatisierungsgrad. Sie arbeitet schon heute sehr ausgeprägt mit digitalisierten Technologien und Echtzeitdaten, insbesondere bei der Steuerung komplexer Produktionsanlagen, die häufig in Verbundsysteme eingebettet sind. Dies unterscheidet in weiten Teilen die chemisch-pharmazeutische Industrie in ihrer technologischen Funktionsweise von Branchen mit diskreten Fertigungssystemen, wie etwa im Maschinen- und Automobilbau oder der Elektroindustrie.
Die fortschreitende Digitalisierung und eine zunehmend vernetzte Automatisierungstechnik werden aber auch in der Chemie wesentliche Treiber für Produktivitätssteigerungen der Zukunft sein. Dabei werden die Chemie-Unternehmen zum einen Nachfrager und Anwender neuer Industrie 4.0-Technologien sein, beispielsweise über die Einrichtung intelligenter Produktionsanlagen. Zum anderen gilt es, neuartige Geschäftsmodelle mit neuen Produkten und Services zu entwickeln, die auf der Nutzung von Daten und der engen Zusammenarbeit mit Zulieferern und Kunden basieren.
Auswirkungen auf die industrielle Arbeitswelt
Der digitale Wandel wird auch die Arbeitswelt weiter verändern. Chancen entstehen in der vernetzten industriellen Produktion dabei durch die Veränderung der Arbeit an sich. Schwere körperliche Arbeit kann in Zukunft häufiger von intelligenten Maschinen und Systemen ausgeführt werden. Das bedeutet nicht, dass smarte Produktionssysteme alle Aufgaben übernehmen, dennoch wird der Anteil einfacher manueller Tätigkeiten tendenziell sinken. Beschäftigte werden voraussichtlich stärker gefragt sein, Abläufe zu koordinieren, die Kommunikation zu steuern und eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen.
Die menschenleere Fabrik wird es aber auch morgen und übermorgen nicht geben. Jedoch werden sich die Tätigkeitsprofile und Anforderungen an die Mitarbeiter fortentwickeln und verändern. Auch durch die Möglichkeit der flexiblen Nutzung von Betriebsmitteln werden weitere Arbeitsformen und Arbeitszeitmodelle entstehen, die sich neben dem »klassischen« Beschäftigungsverhältnis etablieren.
Aus heutiger Sicht sind die geltenden Arbeitsschutzvorschriften flexibel genug, um auch solchen neuen Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen gerecht zu werden. Gelingt die richtige Balance zwischen den Anforderungen einer flexiblen Arbeitsorganisation der Unternehmen und den persönlichen Bedürfnissen der Beschäftigten, so kann dies auch neue Spielräume für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben eröffnen.
Qualifikationen weiterentwickeln
Die Arbeit des Menschen wird sich verändern, aber nicht wegfallen oder unwichtig werden. Es werden sich neue Handlungsspielräume ergeben. In der Industrie werden Tätigkeiten sowohl in technologischer als auch organisatorischer Perspektive anspruchsvoller. Dies setzt die richtigen Qualifikationen voraus.
In einer stärker digitalisierten Arbeitswelt sind nicht nur IT-Fachkenntnisse und Kompetenzen im Umgang mit dem Internet als Basistechnologie von Bedeutung. Sie erfordert vielmehr auch ein umfassendes berufliches Erfahrungswissen, vermehrt interdisziplinäre Kompetenzen sowie die Fähigkeit, mit Partnern zu kommunizieren und zu kooperieren.
Mit einem hohen Ausbildungsstandard und einer im Industrievergleich bereits überdurchschnittlichen Weiterbildungsintensität verfügt die Chemie-Branche über eine gute Ausgangsbasis, um die Beschäftigten auch qualifikatorisch für die Arbeit der Zukunft fit zu machen.
Standpunkt von BAVC-Präsidentin Margret Suckale
»Industrie 4.0 hat längst begonnen — gerade in der Chemie als Prozessindustrie. Unsere Produktion ist schon heute in hohem Maße automatisiert. Moderne Prozessleitsysteme tragen dazu bei, die Anlagen so effizient wie möglich zu betreiben. Jetzt kommt der nächste Schritt. Das »Internet der Dinge« schafft die technischen Rahmenbedingungen, um noch produktiver und wettbewerbsfähiger zu werden. Durch die zunehmende Digitalisierung werden sich Aufgaben und Arbeitsplätze verändern. Neue Berufsbilder werden entstehen. Es ist wichtig, diesen Wandel gemeinsam mit unseren Mitarbeitern so zu gestalten, dass keine Ängste geschürt werden und alle Beteiligten die enormen Möglichkeiten erkennen. Dann wird aus der Herausforderung Industrie 4.0 die Chance Industrie 4.0.«
Quelle: BAVC
Bildquelle: 724114_original_r_k_b_by_cristine-lietz_pixelio