„Möge die Chemie mit Euch sein!“
8. August 2024VCI-Quartalsbericht 2/2024: Chemie und Pharma mit Gegenwind
10. September 2024WIR MÜSSEN DEN KOMPASS WIEDER AUF „SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT“ AUSRICHTEN!
Ist die Energiewende gescheitert?
Zumindest so, wie sie angedacht war und derzeit vollzogen wird, wohl schon.
Es ist Zeit für einen Kassensturz und einen Plan, wie es jetzt weitergehen kann. Denn die Vorstellung, dass man nur genug erneuerbare Energie-Anlagen (gemeint: Wind, PV) zubauen muss, dann würde es schon genug billigen Strom geben, wird vermutlich nicht aufgehen. Zum einen ist erneuerbare Energie nicht per se günstig und zum anderen müssen auch die weiteren Systemkosten eingerechnet werden.
Das Ergebnis: Der ganzheitliche Blick auf die Systemkosten lässt nur wenig Hoffnung zu, dass die Stromkosten im kommenden Jahrzehnt sinken werden. Die gestiegenen Netzentgelte von Anfang 2024 geben einen ersten Vorgeschmack. Auch der für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) angefertigte „Fortschrittsmonitor Energiewende 2024“ stößt in das gleiche Horn: Die nötigen Investitionen in den Bereichen Energieerzeugung, Stromnetze, Wasserstoffwirtschaft, Wärme und Verkehr werden auf 721 Mrd. EUR bis 2030 sowie weitere 493 Mrd. EUR bis 2035 beziffert. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Strompreise – wenn man alle Kostenbestandteile einrechnet – nur eine Richtung kennen: teurer!
Die Studien sind ohne Zweifel ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung der Debatte. Über das Resultat einer über Jahrzehnte planwirtschaftlichen Eingriffspolitik in den Strommarkt – von der Trittin’schen Eiskugel als Kostenbeitrag für die Förderung der Erneuerbaren bis zu den umgesetzten Abschaltplänen für die Atomkraftwerke, dem Kohleausstieg und der dann nötigen Kraftwerksstrategie – darf man sich aber nicht wundern. Es ist eben teuer, wenn man vor allem abschaltet und gleichzeitig wegen dezentraler, volatiler Stromgestehung viel mehr Netze und parallel auch alternative Backup-Kapazitäten für Zeiten ohne Wind und Sonne braucht.
Worüber man sich aber wundern muss, ist, dass man dann Maßnahmen wie einen staatlich gedeckelten Industriestrompreis zum Erhalt der industriellen Wettbewerbsfähigkeit mit dem Hinweis, das sei nicht marktwirtschaftlich, ablehnt. Das ist schon erstaunlich und fast zynisch: Man greift wiederkehrend planwirtschaftlich-dirigistisch in einen Markt – den Strommarkt – ein und sorgt so für einen Mangel an verlässlichen Gestehungskapazitäten und damit (natürlich) für höhere Preise und geringere Versorgungssicherheit, um dann maßgeblich betroffenen Branchen mit Verweis auf die Marktwirtschaft eine Lösung zu verwehren!? Dass wir den „Markt“ im Strombereich schon vor langer Zeit verlassen haben, kann man alleine daran sehen, dass es trotz phasenweiser hoher Strompreise zwar eigentlich genügend marktliche Anreize für den Bau neuer Kraftwerke gibt, aber dennoch nicht investiert wird.
Natürlich kann man das Vorschieben marktwirtschaftlicher Ansprüche inmitten der Energieplanwirtschaft auch einfach damit erklären, dass man, gerade in Zeiten klammer Kassen als Folge von Haushaltsurteilen und schlechten Wirtschaftsdaten, eher ungern Subventionen auf den Plan ruft. Andererseits sollte allen klar sein, dass die wirtschaftliche Situation eine Folge des hohen Strompreises ist – die Situation kann nur mit einem verlässlich international wettbewerbsfähigen Strompreis wieder besser werden. Und auch uns als Verfechter der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft bereitet es großes Unbehagen, einen Subventionstatbestand für den Strompreis zu fordern, den es – so viel sei nebenbei bemerkt – in anderen Staaten wie z.B. Frankreich, USA, China bereits seit vielen Jahren gibt. Nur muss man sich am Ende auch fragen, was denn die Alternativen sind und was ein Nichthandeln bedeutet.
Es ist also ernst und steht nicht gut um den Industriestandort Deutschland – denn wie sollen wir die Transformation zur Klimaneutralität schaffen, wenn als Folge hoher Stromkosten nicht investiert wird?
Es bleibt dabei: Der Industriestrompreis – „all-in“ 4 ct/kWh als Richtmarke – ist Notwendigkeit und Booster zugleich für die Transformation zur Klimaneutralität.
Und im Übrigen gilt dies auch ganz analog für das Thema „Wasserstoff“: Auch hier kann die Transformation nur mit einer international wettbewerbsfähigen Kostenstruktur gelingen!
Soll das wirklich allen Ernstes im Industrieland Deutschland unser Kompass für die Zukunft sein? Sollen wir das als offenes Plädoyer für „Klimaschutz durch Deindustrialisierung und Abbau industrieller Arbeitsplätze“ verstehen? Wird das dann andere Weltregionen dazu bewegen, uns auf diesem Weg zu mehr Klimaschutz zu folgen? Müssten wir denn jetzt nicht eigentlich alles dafür tun, dass wir bei dem eingeschlagenen Weg eine nachhaltige Lösung finden, die echte Perspektiven auch für klimaneutrale energieintensive Wertschöpfung am Industriestandort Deutschland aufzeigt? Und droht nicht ansonsten, dass der Vorbildcharakter zum Mahnmal wird – und sind wir denn nicht eigentlich gerade deshalb für das Gelingen von Klimaschutz auf globaler Ebene geradewegs zum Erfolg verdammt?
Man hat derzeit den Eindruck, dass wir arg entrückt auf uns als Industrieland blicken und dieses Privileg, Industrieland zu sein, scheinbar immer weniger wertschätzen – und nicht selten schulterzuckend hinnehmen, wenn wesentliche Teile unserer industriellen Basis von Verlagerungen und Abwicklung bedroht sind.
Und umso erschreckender ist es, dass wir auch wieder in eine Debatte über die Zukunft der sog. „alten Industrien“ einsteigen, auf die einige glauben, im Rahmen der „Transformation“ unserer Wirtschaft gut verzichten zu können.
Dieses Phänomen – „Old Economy“ versus „New Economy“ – ist dabei nicht neu. Manche Länder – allen voran Deutschland – waren nach dem Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 und später während der Finanzkrise 2009 allerdings am Ende doch sehr froh, dass sie noch eine reale „alte Industrie“ mit echten Assets und einem hohen Anteil am BIP hatten, die ihren Wohlstand gesichert hat. Und auch heute muss immer wieder daran erinnert werden, was in einer arbeitsteiligen Wirtschaft das Erfolgsgeheimnis wirtschaftlicher und industrieller Wertschöpfungsketten ist, aus denen man nicht beliebig und ohne Folgen wichtige Kettenglieder herausbrechen kann, wenn man andererseits über Fragen einer gesteigerten Resilienz in unsicheren Zeiten diskutiert.
Die intensive Beleuchtung der Energiepolitik in diesem Kapitel liegt naturgemäß in deren fundamentaler Bedeutung für den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Energiekosten, deren Höhe im Vergleich zum internationalen Wettbewerb sowie deren Planbar- und Verlässlichkeit entscheiden maßgeblich über Investitionen in der Industrie – gerade in Zeiten einer Transformation mit erwartbar erhöhtem Strombedarf für neue klimaneutrale Prozesse. In Bayern kennen wir diese Systematik eigentlich auch ganz gut, denn die weitsichtigen energiewirtschaftlichen Infrastrukturentscheidungen der Vergangenheit (Atomkraft, TAL-Pipeline und Co.) haben den Aufstieg des Freistaats von einem Agrarland zu einem international führenden Industriestandort erst ermöglicht.
Die aktuellen Probleme und Herausforderungen in der Energiepolitik sind aber nur ein Symptom einer viel tieferliegenden und fundamentaleren Schieflage.
In den letzten Dekaden haben wir uns von dem einstigen Erfolgsmodell unserer Wirtschaftsordnung – der Sozialen Markwirtschaft – immer weiter abgewendet und geraten in den höherföderalen Ebenen des Bundes und der EU immer tiefer in eine regelrechte neodirigistische Spirale der planwirtschaftlichen Mikroregulierung.
- Nochmal Energie- und Klimapolitik: Hatte man sich noch mit dem europäischen Emissionshandel auf ein sinnvolles marktliches Instrument zur kosteneffizienten CO2-Reduktion in der EU geeinigt, konterkarierte man durch Eingriffe wie die „Marktstabilitätsreserve“, nationale Abschaltpläne oder Subventionsmaßnahmen wie das EEG dieses System kontinuierlich. Dadurch wurde es ineffizienter und teurer.
- Industrieanlagenzulassung: Seit einiger Zeit hat man kundig erkannt, dass die klimapolitische Ambition nicht mit dem starren, überkomplexen und viel zu langen Genehmigungsregime für Infrastruktur- und Industrieprojekte zusammenpasst. Statt aber eine Neuordnung und Modernisierung des Rechtsrahmens vorzunehmen, einigte man sich jüngst auf eine weitere Verkomplizierung des europäischen Rahmenwerks zur Industrieanlagenzulassung (IED). Fast jede Maßnahme erhöht den Erfüllungsaufwand weiter und stellt Vollzug wie auch Betreiber vor kaum noch lösbare Hürden bei Betrieb und Genehmigung von Anlagen. Garniert wird das Ganze mit einem ab 2030 auf Anlagenebene (!) zu erstellenden Transformationsplan – das Klimaziel allein reicht nicht, in der Planwirtschaft sind Pläne obligatorisch.
- Chemikalienrecht: Mit der EU-Chemikalienstrategie soll sich das Paradigma der Regulierung für die Verwendung von Chemikalien ändern. Statt eines Fokus auf sichere Verwendungen und einer risikobasierten Regulierung soll es in Zukunft so laufen: Erfüllen Stoffe bestimmte Gefährlichkeitseigenschaften, dann sollen sie – ob ein Risiko der Exposition besteht oder nicht – möglichst verschwinden. Dazu hat die EU auch noch eigene neue Gefahrenklassen geschaffen. Und weil man erkennt, dass dann auch Verwendungen verboten sein werden, die wir als Gesellschaft doch nicht missen wollen, schafft man Ausnahmen für sog. „Essential Uses“. Zum Mitschreiben: In den Tiefen des Chemikalienrechts möchte man in Zukunft festlegen, was für eine Gesellschaft essenziell ist und was nicht. Das PFAS-Restriktionsdossier gibt hier schon mal einen Vorgeschmack darauf, wie man versucht, in der Komplexität der Wertschöpfungsketten „herauszuregulieren“, welche Nutzungen am Ende doch ganz wünschenswert wären und wieviel planwirtschaftliche Zeit man den Innovationsabteilungen lässt, um für Ersatz zu sorgen.
- Sustainable Finance: Um den Kapitalmarkt dahingehend zu lenken, dass verstärkt in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten investiert wird, hat man auf EU-Ebene die Sustainable-Finance-Strategie auf den Weg gebracht. Und auch hier schlägt man den Weg der planwirtschaftlichen Mikroregulierung ein. Mit einer umfänglichen Taxonomie und weitreichenden technischen Dokumenten legt man haarklein fest (zumeist, ohne Wertschöpfungsketten in Gänze mitzudenken), welche Erfordernisse und Referenzwerte erfüllt sein müssen, damit eine wirtschaftliche Tätigkeit als Taxonomiekonform und damit als nachhaltiges Investment gilt – natürlich inklusive entsprechender aufwendiger Berichtspflichten. Der lang gehegte Streit, ob nun Atomkraft und Erdgas auch nachhaltig sein können, spricht dabei für sich und legt relativ schonungslos die Problematik planwirtschaftlicher Instrumente offen: Wer den Plan schreibt, bestimmt, was nachhaltig ist und was nicht.
Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen – ob Grenzausgleichsmaßnahmen (CBAM), Verbrennerverbot oder die Kraftwerksstrategie, ob kleinteilige Produktvorgaben in der EU-Ökodesignverordnung oder die viel diskutierten Lieferkettennormen, wodurch man Unternehmen dazu verpflichtet, die eigenen Regulierungsparadigmen auch in Drittstaaten umzusetzen. So sehr man die Ziele jeder einzelnen Regulierung teilen kann und auch vielfach muss (wie z.B. keine Zwangsarbeit entlang der Lieferketten), verzetteln wir uns dabei in kleinteiliger Planwirtschaft, die nach dem 1. Satz der Bürokratiedynamik im Aufwand immer weiter steigt. Denn Markteingriffe führen in der Folge meist zu immer weiteren Eingriffen, um Fehlsteuerungen zu vermeiden oder nachzujustieren.
Dies führt an manchen Stellen – wie der deutschen Energiepolitik – so weit, dass eben auch nur noch ein Eingriff wie der Industriestrompreis als Lösung übrigbleibt, um die Deindustrialisierung, beginnend bei der energieintensiven Industrie, aufzuhalten.
Wir müssen daher endlich das neodirigistische Regulierungsparadigma durchbrechen und uns auf das besinnen, was den bisherigen Erfolg unseres Wirtschaftsmodells begründet hat: Gute Rahmenbedingungen, in denen Unternehmen im fairen Wettbewerb um die besten Technologien, Ideen und Lösungen prosperieren können. Hierfür haben sich die „Spielregeln“ der Sozialen Marktwirtschaft als besonders erfolgreich herausgestellt – als Gegenmodell zu Turbokapitalismus einerseits und Planwirtschaft bzw. Sozialismus andererseits.
Der Staat schafft Leitplanken, gute Rahmenbedingungen und Infrastruktur – den Rest erledigen die Kräfte des Marktes. Dort wo Märkte „versagen“ (aber nur dort!) greift der Staat mit zusätzlichen Regeln ein – z.B. mit dem Kartellrecht. Preise geben den Marktteilnehmern Signale, wo Bedürfnisse bestehen und wo nicht, Investitionen werden getätigt, weil Chancen auf Gewinne bestehen, wo weitere Bedürfnisse befriedigt werden können. Innovationen sorgen für Verbesserungen – bei den Produkten, beim Umwelt- und Verbraucherschutz, bei den Produktionsfaktoren. Sie werden daher für eine gewisse Zeit vor Nachahmung geschützt, um den Innovatoren genügend Möglichkeiten zu bieten, ihre Investitionen zu amortisieren und Innovationen überhaupt erst erstrebenswert zu machen. Und so optimiert die „unsichtbare Hand“ des Marktes die Wirtschaft, damit das produziert wird, was auch nachgefragt wird; und Besseres verdrängt Schlechteres. Bedürfnisse werden befriedigt (was sehr sozial ist) und zwar sehr viel effizienter, als es in planwirtschaftlichen Systemen jemals möglich ist.
Dieses sowie weitere interessante Themen finden Sie in unserem aktuellen Jahresbericht.
Bildquelle Titel: Bayerische Chemieverbände
Bildquellen Text: iStock-146924755, iStock-473446954, iStock-843765146, iStock-1388908655, iStock-1405420577, iStock-1407329006, iStock-1698709690, iStock-2005210299, iStock-2151251001