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21. August 2023PFAS: Differenzierte Betrachtung statt Pauschalverbot!
Der Begriff „PFAS“ (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) steht bereits seit einiger Zeit im Mittelpunkt vieler Diskussionen in der Politik und der Öffentlichkeit – oft mit einer negativen Konnotation. Im Sinne eines Strukturmerkmals werden alle Stoffe mit einem bestimmten Fluoranteil unter „PFAS“ subsummiert – obwohl dies bei weitem keine homogene Stoffgruppe darstellt. Dass sich die mehr als 10.000 Verbindungen jedoch hinsichtlich ihrer Stoffeigenschaften deutlich unterscheiden und einige davon sogar für medizinische Anwendungen sowie für die Transformation hin zur Klimaneutralität essenziell sind, ist weniger bekannt. Grundsätzlich gibt es auch gute Argumente, potenziell gefährliche Substanzen zu verbieten. Und selbstverständlich gehören menschengemachte, nicht-abbaubare chemische Verbindungen nicht in die Natur. Trotzdem darf für Fluorchemikalien nicht einfach Schluss sein. Gerade mit Blick auf Umwelt, Gesundheit und Fortschritt sind viele PFAS gut – teils das Beste, was es gibt.
Ein Pauschalverbot aller Substanzen der Stoffgruppe, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, ist daher keine Lösung.
Zunächst müssen die mehr als 10.000 der als PFAS bekannten Verbindungen differenziert betrachtet werden, denn nur einzelne PFAS-Vertreter sind nachweislich als gesundheitsgefährdend einzustufen. Dazu gehören auch die perfluorierte Tenside Perfluoroctansäure (PFOA) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS). Erstere diente als Emulgator für die Herstellung von Polymeren, während letztere unter anderem als Bestandteil nicht-brennbarer Feuerlöschschäume bei großflächigen Anwendungen, z.B. auf Flughäfen, breit verteilt wurde. Die deutschen Chemieunternehmen haben die PFOS-Produktion jedoch bereits im Jahr 2002 eingestellt. Mit der Richtlinie 2006/122/EG wurde PFOS zudem Ende des Jahres 2006 in der EU generell verboten und bereits 2010 in die Verbotsliste der Stockholm-Konvention für POPs (persistente organische Schadstoffe) aufgenommen. Im Mai 2019 wurden PFOA, ihre Salze und Vorläuferverbindungen in den Anhang A der Stockholm-Konvention aufgenommen. Damit ist die Verwendung dieses Stoffes, bis auf bestimmte Ausnahmen, seit Ende 2020 weltweit verboten. Diese beiden Substanzen, PFOS und PFOA, sind es übrigens, die den Großteil der Umweltbelastungen ausmachen. Über Jahrzehnte hinweg wurden sie in Löschschäumen weltweit verwendet und haben dabei sicher auch gute Dienste zum Schutz von Menschen und Natur geleistet. Sie wurden aber auch über Dekaden in Polstersprays und Autowaschmitteln und vielen anderen Anwendungen völlig bedenkenlos von Jedermann in allen Industrienationen in die Umwelt freigesetzt. Mit dem Verbot in der EU wurde dem bereits 2006 ein Ende gesetzt.
Im Gegensatz zu PFOA und PFOS genügen die 38 industriell wichtigen Fluorpolymere jedoch den dreizehn Stoffkriterien der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) für sogenannte „polymers of low concern“ (PLCs). PLCs stellen keine Gefahr für Lebewesen oder Tiere dar. Bei Fluorpolymeren liegt das daran, dass die an die Kohlenstoffatome gebundenen und nach außen angeordneten Fluoratome die Kohlenstoffkette des Polymers schützen. Darauf beruhen viele der in der Anwendung sehr geschätzten Eigenschaften der Fluorpolymere: sie haben eine gute Temperatur- sowie hohe chemische Korrosions- und Permeationsbeständigkeit, sind nicht reaktiv und nicht brennbar und weisen exzellente Abriebfestigkeit, geringe elektrische Leitfähigkeit, exzellente Antihaft- und viele weitere einzigartige Eigenschaften auf. Damit haben sie sich in vielen Bereichen als unerlässliche Materialien etabliert, für die es in absehbarer Zeit keinen adäquaten Ersatz geben wird.
Dieser Vergleich zwischen einzelnen niedermolekularen PFAS wie PFOA oder PFOS mit polymeren PFAS wie Fluorpolymeren zeigt, dass dringend eine differenzierte Betrachtung nötig ist. Statt einer pauschalen Beschränkung müssen PFAS stoffspezifisch oder anhand von PFAS-Subgruppen risikobasiert reguliert werden. Insbesondere für Fluorpolymere muss eine Ausnahmeregelung getroffen werden.
Denn ohne diese ist beispielsweise die Transformation zur Klimaneutralität nur schwer möglich – ein pauschales PFAS-Verbot stünde der Umsetzung des Green Deals der EU entgegen. Anwendungen in der Automobilindustrie, in der Raumfahrt, im Bauwesen und in der Medizin, Technologien wie die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, Kommunikations- und Informationstechnologien und zahlreiche weitere Bereiche benötigen bisher nicht substituierbare Fluorpolymere.
Aufgrund ihrer hohen Beständigkeit und Inertheit sind Fluorpolymere in vielen industriellen Anwendungsbereichen unersetzlich bzw. die beste Lösung, die die Forschung zu bieten hat – und sollten daher separat betrachtet und vom PFAS-Pauschalverbot ausgenommen werden.
So sind in der Halbleiterindustrie, in der Chipfertigung, die auch in der EU gefördert werde soll, Fluorpolymere unerlässlich. Polyvinylidenfluorid (PVDF) und Perfluor Alkoxyalkan Copolymer (PFA) ermöglichen die Herstellung von Chips aus Reinstsilizium. Die Fluorpolymere sind aufgrund ihrer einzigartigen Stoffeigenschaften die einzigen Materialien, die die Kontamination mit Metallionen im Herstellungsprozess verhindern können. Fluorpolymere werden auch in der weiteren Verarbeitung von Siliziumchips verwendet, beispielsweise in der Fotolithographie, also dem Prozess, der aus Silizium integrierte Schaltkreise werden lässt. Alternativen gibt es keine in der Chip-Industrie – über Jahrzehnte ist die gesamte Technologie(weiter)entwicklung auf diese Stoffgruppe fokussiert worden. Für einen Ersatz von fluorhaltigen Verbindungen bräuchte es nicht nur eine lange Entwicklungszeit – es fehlt schon die Idee, wie es anders gehen soll.
Ebenso verhält es sich bei der Auskleidung von Tanks oder Leitungen, die für den Transport von Chemikalien vorgesehen sind – egal ob über weitere Distanzen oder innerhalb eines chemischen Werks. Dank ihrer geringen Permeabilität, ihrer chemischen Beständigkeit und ihrer thermischen Stabilität eignen sich Fluorpolymere wie PVDF, PFA, Polytetrafluorethylen (PTFE) oder Tetrafluorethylen-Hexafluorpropylen (FEP) hervorragend, den Austritt von chemischen Substanzen, einschließlich Gasen, zu verhindern. Aus diesem Grund sind Fluorpolymere unersetzbar in der chemischen Industrie selbst, wo sie häufig auch in der Beschichtung von Bauteilen, die mit korrosiven Chemikalien in Kontakt sind, als Material für Dichtungen, Ventilen, Pumpen, Schläuchen und an vielen weiteren Stellen zum Einsatz kommen. Ein Verbot würde so auch die sichere und umweltfreundliche Produktion vieler anderer Chemikalien in Europa verhindern – mit entsprechenden Folgen für die nachfolgenden Wertschöpfungsstufen (die anderen Industrien).
Ein weiteres, bedeutendes Einsatzgebiet verschiedener Fluorpolymere, besonders PTFE, ist die Medizin. Von Implantaten und Katheter bis hin zu diagnostischen Anwendungen und in der Chirurgie sowie so gut wie alle Laborgeräte – Fluorpolymere sind dank ihrer einzigartigen Eigenschaften essenzielle Materialien, die sich im medizinischen Bereich insbesondere durch ihre Beständigkeit und Biokompatibilität auszeichnen. Die inerten Fluorpolymere erfüllen die sehr hohen Anforderungen, die in der Medizin gelten. Auch hierfür gibt es in absehbarer Zeit keinen Ersatz.
Die genannten Anwendungsbeispiele sind vor allem in der Industrie und der Medizin angesiedelt – es geht also nicht vordringlich um die im Alltag bekannte „Teflonpfanne“ oder Materialien, die im Haushalt verwendet und über kommunale Systeme entsorgt werden.
Diese Unterscheidung eine ganz wesentliche. Gerade, wenn es um die Prozesse am Ende des Lebenszyklus der Produkte geht. Der Vorteil der Fluorpolymere liegt beispielsweise in der Medizin ja gerade darin, dass daraus bestehende Implantate inert (=persistent) und biokompatibel sind. Sie sollen möglichst lange bestehen und nicht bereits nach kurzer Zeit schon der Entsorgung zugeführt werden. Einzelne Bestandteile medizintechnischer Geräte sowie auch Dichtungen, Ventile und weitere Bauteile in Maschinen und Industrieanlagen sind für den Langzeitgebrauch in spezifischen Anwendungen gedacht.
Während ihrer Verwendung in der Industrie oder Medizin sind Produkte aus Fluorpolymeren stabil, haben keinen Kontakt mit der Umwelt und stellen somit kein Risiko dar. Und anschließend können sie fachgerecht entsorgt werden.
Der Blick auf den Umgang mit Fluorpolymeren nach dem Ende ihrer Lebensdauer („end-of-life“) ist ebenfalls wichtig, um etwaige Risiken zu bewerten. Nach einer aktuellen Studie wird der Großteil an Fluorpolymeranwendungen nach dem Ende ihrer Lebensdauer in Prozessen der Energierückgewinnung verwertet (thermische Abfallverwertung). Aktuelle Studien (von 2023 und von 2019) zeigen dabei, dass bei einer solchen thermischen Verwertung von Fluorpolymeren (unter typischen Bedingungen kommunaler Abfallverbrennungsanlagen) eine sichere Verbrennung erfolgt und keine messbaren/signifikanten Mengen an Emissionen niedermolekularer PFAS entstehen (sicherer Entsorgungsweg).
Zudem gab es in den letzten Jahren weitere bedeutende Fortschritte in der Handhabung der Fluorpolymere nach der Nutzungsdauer der entsprechenden Produkte. Bespiel: Die weltweit erste und einzige Fluorpolymer-Upcycling-Anlage wurde von der 3M Tochter Dyneon im Chemiepark Gendorf in Betrieb genommen (aufgrund des geplanten PFAS-Verbots wurde im Juli 2023 jedoch die Schließung des Standorts samt Upcycling-Anlage bekannt gegeben). In einem mehrphasigen Pyrolyseprozess in einem Wirbelschichtreaktor werden in der Anlage jährlich bis zu 500 t Fluorpolymer-Abfälle zunächst in Monomere zerlegt, um dann in eine Destillationsanlage eingespeist und wieder zu neuen Produkten verarbeitet zu werden. Auch Fluorit kann hierbei zur weiteren industriellen Nutzung gewonnen werden.
Fluorpolymere können u.a. durch chemische Recyclingverfahren im Kreislauf geführt werden – ganz im Sinne einer Kreislaufwirtschaft und der Verringerung von Rohstoffabhängigkeiten. Ein undifferenziertes Totalverbot macht das Recycling allerdings unmöglich.
Das beeinflusst auch die Herstellung von Fluorpolymeren. Denn der Polymerisationsprozess erfordert die Verwendung fluorierter Tenside. Bis zum Inkrafttreten des entsprechenden Verbots wurde PFOS eingesetzt, danach fanden Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS) und weitere ähnliche Substanzen ihren Weg in die Produktion, die zum Teil bereits unabhängig vom PFAS-Beschränkungsvorschlag bereits in den Anhang I (Liste der verbotenen Stoffe) der POP-Verordnung ((EU) 2019/1021) aufgenommen oder als besonders besorgniserregend eingestuft worden sind. Die Freisetzung solcher Chemikalien in die Umwelt ist schädlich und muss vermieden werden. Ein generelles Verbot aller PFAS ist dafür jedoch keine Lösung – und auch nicht nötig. Stattdessen sollte auf Verbesserungen im Polymerisationsprozess – z.B. durch Emissionsminderungsprogramme der Fluorpolymerhersteller oder den Ersatz von fluorhaltigen Emulgatoren – gesetzt werden.
Die Freisetzung toxischer PFAS-Substanzen wäre daher besser über immissionsschutzrechtliche Vorgaben z.B. im Rahmen der IED zu regeln, so dass Alternativen im Polymerisationsprozess und am Ende des Lebenszyklus der Produkte gefunden und eingesetzt werden können.
Somit wäre es möglich, inerte und beständige Fluorpolymere dort zu verwenden, wo sie nicht ersetzbar sind, dabei aber auch die Freisetzung derjenigen PFAS zu regulieren, die für Umwelt, Mensch und Tier schädlich sind. Bereits vorhandene Altlasten, die zum Zeitpunkt der Entstehung noch nicht als toxisch eingestuft wurden und deren Konzentration in der Umwelt mit den damaligen analytischen Möglichkeiten noch nicht nachgewiesen werden konnte, werden identifiziert und erforderliche Maßnahmen durchgeführt. In Kombination mit der Einführung einer entsprechenden immissionsschutzrechtlicher Regulierung könnte eine weitere Akkumulation verhindert und die sukzessive Reduktion der PFAS-Belastung gefördert werden.
In diesem Zusammenhang muss zudem die Welt als Ganzes gesehen werden. Da Fluorpolymere in vielen Bereichen essenziell und (noch) nicht substituierbar sind, besteht die Möglichkeit, dass die Herstellung ins Ausland abwandert und benötigte Produkte in Deutschland bzw. in die EU importiert werden. Die Gefahr besteht darin, dass sich die Produktion in Drittländer verlagert, wo die Verwendung toxischer Substanzen möglich ist – und sich damit das Problem der Umweltbelastung lediglich verschiebt. Aufgrund der bevorstehenden Schließung des Dyneon-Werks in Gendorf ist schon jetzt eine Abhängigkeit von außereuropäischen Fluorpolymerherstellern absehbar. Gemäß dem derzeitigen Vorschlag des Restriktionsdossiers ist aber auch ein Verwendungsverbot für Fluorpolymere und alle anderen PFAS vorgesehen. Damit wäre auch ein Import von Produkten und Vorstufen verboten.
Ein zielführenderer Ansatz wäre daher statt eines Totalverbots aller PFAS eine risikobasierte, differenzierte Regulierung. Besonders im industriellen Bereich sind Fluorpolymere aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften für viele Anwendungen unverzichtbar und stellen während der Nutzungsphase kein Risiko für Umwelt und Gesundheit dar. Lediglich Emissionen während des Produktionsprozesses sowie Entsorgungsfragen müssten geregelt werden, um weitere Kontamination der Umwelt zu unterbinden.
Hersteller und industrielle Anwender können bekannte Risiken bei Produktion, Nutzung und am Ende des Produktlebenszyklus gezielt angehen, z.B. durch die Vermeidung von Fluortensiden im Polymerisationsprozess im Rahmen geeigneter Immissionsschutzregulierungen und den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft nach dem Vorbild der Dyneon.
Das von der Kommission vorgeschlagene Verbot aller PFAS einschließlich der Fluorpolymere ist jedoch keinesfalls eine Lösung.
Bildquellen: iStock-1223150089, iStock-1225585631, iStock-1372085619, iStock-1141169089, eigene Collage; iStock-178487234, iStock-506753904, iStock-514620986.