Mitgliederversammlung 2022 – Änderungen im Vorstand
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2. August 2022Mitgliederversammlung der Bayerischen Chemieverbände: Die #Lösungsindustrie Chemie sieht schwierigen Zeiten entgegen
Am Dienstag, den 26.07.2022 fand nach zwei Jahren Corona-bedingter Online-Veranstaltungen die Mitgliederversammlung der Bayerischen Chemieverbände wieder als Präsenzveranstaltung statt. Zwar ohne den sonst üblichen öffentlichen Teil, aber mit einer hochkarätigen Gastrednerin.
Der Berichtszeitraum der Mitgliederversammlung umfasste dabei auch den Zeitpunkt, an dem sich der 09. August 1946, der Gründungstag der Bayerischen Chemieverbände, zum 75. Mal gejährt hat. Obwohl dies im vergangenen Sommer eigentlich ein Anlass zum Feiern gewesen wäre, haben uns leider ganz andere Themen in Atem gehalten. Im letzten Jahr noch die COVID-Pandemie, die auch bis heute noch immer nicht ganz ausgestanden ist. Und dann der Krieg gegen die Ukraine, der schreckliches Leid verursacht und dessen Folgen auch unsere Branche massiv betrifft. Auf die Organisation einer Feier unseres Jubiläums haben wir daher aus naheliegenden Gründen verzichtet und uns mit aller Kraft und vollem Einsatz auf unser Kerngeschäft konzentriert.
Die Mitgliederversammlung stand also ganz im Zeichen der aktuellen Entwicklungen, auch wenn die Chemie- und Pharmabranche insgesamt zunächst eine gute Bilanz für das vergangene Jahr ziehen konnte. Vor allem der Blick in die Zukunft bereitet hier ernste Sorgen.
Nach dem Corona-Krisenjahr 2020 sei das Jahr 2021 für viele – aber sicher nicht für alle – Unternehmen der Branche überraschend gut verlaufen und auch das erste Quartal 2022 sei für viele ebenfalls insgesamt zufriedenstellend gewesen, berichtet der Vorstandsvorsitzende der Verbände, Dr. Christian Hartel.
Dennoch machten die Engpässe bei Logistik und Vorprodukten sowie vor allem kräftig steigende Energie- und Rohstoffkosten der Branche zunehmend zu schaffen. Die Nachfrage nach chemisch-pharmazeutischen Produkten bleibe zwar hoch und die Auftragsbücher seien gut gefüllt, doch wegen der Störungen in den Lieferketten könne die Produktion nur noch wenig ausgeweitet werden. Die Kapazitätsauslastung sei ebenfalls zurückgegangen.
Daher gehe die Prognose für das laufende Jahr schon von einem deutlichen Rückgang in der Chemie aus. Und zwar selbst, wenn die Gaslieferungen aus Russland stabil blieben.
Ukrainekrieg, Energiekrise, Bürokratie
Dr. Hartel ging vor allem auf drei wesentliche Entwicklungen ein, welche die gesamte chemisch-pharmazeutische Industrie betreffen: den Ukrainekrieg, die Energiekrise sowie die überbordende Bürokratie.
Dr. Hartel: „Seit fünf Monaten herrscht in der Ukraine Krieg. Er verursacht schreckliches Leid, Vertreibung und Zerstörung. Neben dem Mitgefühl für die Menschen, das für mich und sicher auch für Sie alle an erster Stelle steht, hat dieser Krieg aber auch für unsere Unternehmen ernste Folgen. Vor allem die Energieversorgungslage ist sehr schwierig geworden. Die Weltregionen sortieren sich neu. Handels- und Wertschöpfungsketten verändern sich. Und die höchst wettbewerbsrelevanten Preise für Energie sind in den letzten Monaten regelrecht durch die Decke gegangen.“
In Bezug auf die sehr ernste Energieversorgungslage stellte Dr. Hartel klar: „Immer wieder hört und liest man, dass uns eine Gasmangelsituation regional sehr unterschiedlich treffen würde, etwa dass wir hier in Bayern vermutlich zuerst und vielleicht auch besonders stark betroffen wären. Ich halte davon gar nichts, und werde das auch nicht akzeptieren! Wir können doch nicht von Europäischer Solidarität sprechen, und gleichzeitig innerhalb Deutschlands unterschiedlich Zuteilungen machen! Es muss auf politischer (und technischer) Seite alles getan werden, um eine regionale Ungleichheit zu vermeiden!“. Auch müsse das Atomkraftwerk Isar 2 mindestens bis zum Sommer nächsten Jahres weiterlaufen. Denn wenn durch eine Gasmangelsituation die Dampferzeugung nicht mehr in hocheffizienten KWKs erfolgen könne, fehle auch der damit erzeugte Strom in Bayern. Es sei „riskant und gefährlich“, in dieser Situation große Stromerzeugungsanlagen vom Netz zu nehmen.
Dies bedeute auch keine Abkehr von der Energiewende. Europa, Deutschland, Bayern und damit auch die Chemieindustrie hätten sich auf den Weg zur Klimaneutralität begeben. Und auch wenn viele Fragen über das Wie noch völlig ungeklärt seien und entscheidende Rahmenbedingungen nach wie vor fehlten, so sei die Entscheidung dennoch unumstößlich.
Eine große Belastung für die Unternehmen sei zudem die lähmende Bürokratie, da die Regulierungswut der EU nicht nachlasse. Seiner Meinung nach zeugten EU-Chemikalienstrategie, Taxonomie und IED-Revision davon, dass viele EU-Bürokraten den Ernst der Lage und die negativen Folgen ihres Tuns offensichtlich noch nicht ganz erkannt haben. Aber auch auf Bundesebene und in Bayern gebe es hier Themen – Stichwort „Genehmigungsverfahren“.
So ernst die wirtschaftliche Lage auch ist – Dr. Hartel zeigte sich dennoch verhalten optimistisch, dass die bestehenden Probleme gelöst werden können. Denn immer mehr hochrangige und einflussreiche Politiker sähen diesen Gefahren mittlerweile ins Auge. Und die Chemie werde sowohl als #Lösungsindustrie für die notwendige Transformation auf dem Weg zur Klimaneutralität als auch in weiten Teilen als systemrelevant für die restliche deutsche Industrie angesehen. Die Politik habe erkannt, dass sie die Probleme der Chemiebranche lösen muss, wenn sie die deutsche Wirtschaft retten will.
Dr. Hartel: „Es ist eine Tür offen für die Belange der Industrie – und die chemische Industrie wird durchaus nicht verteufelt, sondern als Lösungsindustrie wahrgenommen. Ich würde sogar so weit gehen, dass die Schlüsselrolle unserer Branche schon lange nicht so klar in Politik und Gesellschaft wahrgenommen wurde. Darin liegt eine große Chance.“
75 Jahre Bayerische Chemieverbände
Walter Vogg, Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Chemieverbände, verwies zu Beginn seines Vortrags zunächst auf den aktuellen Jahresbericht, der wie immer nicht nur einen Ein- und Überblick in unsere Verbandsarbeit gewährt, sondern vor allem die Positionen dokumentiert, die die Verbände im Sinne ihrer Mitgliedsunternehmen insbesondere gegenüber der Politik vertreten.
Dabei erinnerte er in seinen Ausführungen auch an das 75-jährige Gründungsjubiläum am 09. August 2021, dem ein besonderes Kapitel im aktuellen Jahresbericht und eine „Jubiläumsseite“ auf der Internet-Homepage gewidmet sei.
Die Bayerischen Chemieverbände hätten die Entwicklung der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Bayern seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mitbegleitet. Von den Anfängen, dem Wiederaufbau nach dem Krieg über den großen Industrialisierungsschub in den 60er, 70er und den 80er Jahren – weg vom Agrar- und hin zum Industrieland Bayern – bis zum nun bevorstehenden Strukturwandel hin zur Klimaneutralität. Wobei es gerade bei den Themen Infrastruktur und sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Kosten verblüffende Parallelen zu den brandaktuellen Fragestellungen gebe.
Wachsende Risiken
Im Anschluss zog er eine Bilanz der aktuellen Herausforderungen, welche die Branche zurzeit beschäftigen. Dabei sei die bayerische chemisch-pharmazeutische Industrie zunächst mit großen Hoffnungen ins Jahr 2022 gestartet: das Ende der Pandemie und der wieder einsetzende wirtschaftliche Aufschwung, die Überwindung der Lieferkettenprobleme, eine Inflation auf Zielniveau sowie eine tatkräftige Umsetzung der Transformation.
Walter Vogg: „Unsere Hoffnungen haben sich leider nicht erfüllt. Stattdessen ist die Unsicherheit und die Zahl der Risiken für unsere Unternehmen so groß wie nie. Die größte Auswirkung auf unsere Wirtschaft haben sicherlich die Folgen des Kriegs in der Ukraine. Wir erleben eine nie dagewesene Explosion der Kosten für Energie (Strom/Gas), Rohstoffe und Logistik, Versorgungsengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten, einen erneuten Corona-Lockdown in China mit all seinen Folgen für die Lieferketten sowie eine Inflation, die auf Monatswerte von über 7 Prozent und mittlerweile auch in der Erwartung auf über 7 Prozent für das Gesamtjahr steigt. Hinzu kommen steigende Krankheits- und Ausfalltage in den Betrieben aufgrund der neuen Corona-Welle in Deutschland und ein sich verschärfender Arbeits- und Fachkräftemangel. Und wäre dies alles noch nicht genug, so entfachte sich auch noch eine Diskussion über ein Gasembargo, insbesondere von Leuten, denen die systemischen Zusammenhänge einer industriegeprägten Wirtschaft mit all ihren Sekundär- und Tertiäreffekten auf Liefer- und Wertschöpfungsketten offenbar vollkommen fremd oder egal sind und die m.E. auch die Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt völlig falsch einschätzen.“
Die Lage sei also sehr ernst. Schließlich habe man ja mit der erforderlichen Transformation – Stichworte: Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung, Auswirkungen der demografischen Veränderungen und Arbeits-/Fachkräftemangel – auch noch große Aufgaben zu bewältigen, die man bereits vorher ‘vor der Brust‘ hatte.
Tarifverhandlungen 2022
Diese Herausforderungen und Risiken für die wirtschaftliche Zukunft der Chemie- und Pharma- Unternehmen einerseits und der maximale Druck von Arbeitnehmerseite hinsichtlich der Preisentwicklung und Kaufkraftverlusten andererseits seien letztlich auch die Rahmenbedingungen für die Tarifverhandlungen der Branche im Frühjahr gewesen.
Mit der gefundenen „Brückenlösung“ habe man in maximal unsicheren Zeiten durch eine nicht tabellenwirksame, differenzierbare Einmalzahlung nicht nur „Zeit gekauft“, sondern auch einen erheblichen Beitrag zur Entlastung der Beschäftigten geleistet. Die Verhandlungen würden im Oktober 2022 fortgesetzt.
Walter Vogg: „Angesichts der Forderungen in der Metall- und Elektroindustrie in Höhe von 8 Prozent zeichnet sich bereits jetzt ein ‘heißer Herbst‘ für die Fortsetzung der Tarifverhandlungen ab. Und wir werden sehen, ob die Appelle unseres Kanzlers im Rahmen der neu aufgelegten ‘Konzertierten Aktion‘ zur Verhinderung einer Lohn-Preis-Spirale und zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen auf ‘offene Ohren‘ bei den Gewerkschaften stoßen.“
Verbandsarbeit
Zum Abschluss seiner Rede gab Herr Vogg noch einen Überblick über die Vielzahl an Verbandsaktivitäten als Antwort sowohl auf die genannten Herausforderungen als auch auf unzählige weitere Themen und Fragestellungen, mit denen sich das gesamte Verbandsteam im Sinne seiner Mitgliedsunternehmen beschäftigt habe. Er verwies dabei auch auf das weitgefächerte und umfangreiche Informations-, Service- und Unterstützungsangebot, das die beiden Verbände für ihre Mitgliedsunternehmen sowohl persönlich, schriftlich als auch im jeweiligen Mitgliederbereich digital zur Verfügung gestellt hätten.
Hochkarätige Gastrednerin
Im Anschluss an die Regularien konnten wir als Gastrednerin die Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Katharina Schulze, MdL, begrüßen.
Frau Schulze erläuterte in ihrer Rede u.a. die Inhalte des GRÜNEN-Konzeptpapiers „Innovationstreiberin Industrie – Fortschritt und Tradition“, das ein bemerkenswertes Bekenntnis zum Industrieland Bayern enthält. Von allen darin behandelten ebenfalls wichtigen Themen standen für die Vertreter unserer Mitgliedsunternehmen vor allem die Problematik der Energieversorgung, die für unsere Branche aufgrund der aktuellen Entwicklungen nochmals eine zusätzliche Brisanz erhalten hat, und die Position der GRÜNEN als Regierungspartei auf Bundesebene hierzu im Vordergrund.
Dies zeigte sich auch in der intensiven, offenen und sehr konstruktiven Diskussion mit Frau Schulze im Anschluss an ihren leidenschaftlichen Vortrag, die sehr viele Gemeinsamkeiten in Bezug auf den Industriestandort Bayern und insbesondere die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen, aber auch weiteren Gesprächsbedarf zutage förderte. Insofern lieferte die Veranstaltung für beide Seiten eine gute Basis für einen weiteren intensiven und konstruktiven Dialog.
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Personelle Veränderungen im Vorstand
Die Mitgliederversammlung des VBCI und des VCI-LV Bayern wählte Dr. Stefan Hölbfer, Geschäftsführer der OMV Deutschland GmbH und Standortleiter der OMV Raffinerie Burghausen, sowie Paul Wiggermann, Werkleiter Roche Diagnostics GmbH, Penzberg, neu in den Vorstand der Verbände.
Folgende Vorstände haben ihren Rücktritt aus dem Vorstand erklärt und wurden mit einer Würdigung ihrer Verdienste in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet: Dr. Ulrich Opitz, Roche Diagnostics GmbH, Penzberg sowie Dr. Gerhard Wagner, OMV Deutschland GmbH, Burghausen.
Nachfolgend noch einige Impressionen von der Mitgliederversammlung:
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Fotos: Bayerische Chemieverbände, Gerhard Winkler