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20. Januar 2023Mit dem Ende der Fluorchemie in Bayern kommt die Lawine ins Rutschen!
14. Februar 2023Ende der Fluorchemie in Bayern? Wohl kaum ein „Green Deal“!
Am 20. Dezember 2022 hat die US-amerikanische 3M-Corporation bekanntgegeben, bis Ende 2025 komplett aus der Produktion und Anwendung von Fluorpolymeren (PFAS) auszusteigen.
Hintergrund der Entscheidung sind u.a. die „sich entwickelnden externen Rahmenbedingungen, einschließlich zahlreicher Faktoren, wie z. B. sich beschleunigende regulatorische Trends, die sich auf die Verringerung oder Beseitigung von PFAS in der Umwelt konzentrieren“. Darunter dürfte nicht zuletzt die Ankündigung der EU fallen, PFAS bis 2025 verbieten zu wollen. Der Presse ist zu entnehmen, dass ein Grund auch Zugeständnisse im Rahmen von US-amerikanischen Zivilrechtsklagen sind, die vor allem auch dafür sorgen, dass ein Verkauf und Weiterbetrieb für 3M nicht in Frage kommen.
Für den Chemiestandort Bayern mit besonderer Expertise und höchsten Umweltstandards im Bereich der Fluorchemie könnte dies weitreichende Folgen haben. Aber auch der deutschen und europäischen Industrie droht mit dem Ausfall des größten Produzenten von Fluorpolymeren eine kritische Abhängigkeit von den verbleibenden außereuropäischen Produzenten.
Dies kann nicht zuletzt erhebliche Konsequenzen für den „Green Deal“ der EU mit sich bringen. Denn der Einsatz von Fluorpolymeren ist aufgrund deren besonderen Eigenschaften für viele nachhaltige Anwendungen bisher meist alternativlos (u.a. in der erneuerbaren Energieerzeugung z.B. bei Brennstoffzellen, Wasserstoff-Elektrolyseuren oder der Windkraft). Und die Mengen der Dyneon können vermutlich nicht ohne Weiteres von Wettbewerbern ersetzt werden.
Die Zielkonflikte der aktuellen Umweltpolitik treten damit offen und schonungslos zu Tage.
Der Anfang vom PFAS-Ausstieg – ganz nach Plan der EU?
Wie berichtet möchte die europäische Kommission im Rahmen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit auch sog. „PFAS“ (per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen) regulieren. Ziel ist es, bis voraussichtlich 2025 die Herstellung und Verwendung aller PFAS sowie das Inverkehrbringen von PFAS-haltigen Erzeugnissen in der EU weitestgehend zu verbieten und nach Möglichkeit völlig zu substituieren – lediglich „essentielle Verwendungen“ sollen durch Ausnahmen noch möglich sein. Hintergrund ist, dass PFAS vermehrt in der Umwelt auftreten und die EU die Gefahr sieht, dass diese Verbindungen Umwelt und Gesundheit von Mensch und Tier schädigen können.
Insofern dürfte der Ende 2022 von 3M angekündigte Ausstieg aus der Produktion und Anwendung von Fluorpolymeren (auch diese Werkstoffe fallen unter die Stoffgruppe der PFAS) ganz im Sinne der EU sein. Also ein klarer Sieg für die Umweltpolitik? Leider ist es keineswegs so einfach! Die Situation ist – wie so oft – viel komplizierter.
Kein „Green Deal“ ohne Fluorpolymere!
Denn obwohl PFAS unbestreitbar eine Stoffgruppe mit hoher Umweltrelevanz sind und daher für deren Umgang auch ein sorgfältiger regulatorischer Rahmen notwendig ist, sind die davon abgeleiteten Werkstoffe (wie z.B. das Fluorpolymer „PTFE“) erfolgskritische Komponenten für den „Green Deal“. So sind deren besondere Eigenschaften meist alternativlos für Anwendungen zur E-Mobilität (Batterie), in der Energieerzeugung (Brennstoffzelle, Wasserstoff-Elektrolyseure, Windkraft), bei der Fertigung von Chips und Hochleistungselektronik, dem Chemieanlagenbau sowie der Umwelttechnologie, der Luft- und Raumfahrt, der Medizin und der Wehrtechnik.
Weitere Hintergrundinformationen zu den Eigenschaften von Fluorpolymeren sowie wichtige Anwendungsbereiche sind auch auf der Website der Fluoropolymers Product Group zusammengefasst – eine Vereinigung Europas führender Fluorpolymer-Hersteller und -Experten. Auch ein aktueller Artikel mit dem Titel „Warum Fluorpolymere essenziell für die Umsetzung der Ziele des EU Green-Deals sind“ – online publiziert auf dem Fachmedium PROCESS – widmet sich diesem Thema. Der BDI hat in einem umfassenden Papier mit zahlreichen Anwendungsbeispielen bereits 2021 verdeutlicht, welche erheblichen Auswirkungen ein PFAS-Totalverbot auf die hiesigen Industriezweige und deren Innovationsfähigkeit hätte.
Auch muss bei der Bewertung der Umweltrelevanz sorgfältig zwischen Fragen von Altlasten und gegenwärtigen bzw. zukünftigen PFAS-Emissionen unterschieden werden. So sind PFAS-Belastungen in der Regel das Resultat von Anwendungen (z.B. Feuerlöschschäumen) oder Produktionsverfahren (z.B. mit luftseitigen PFOA-Emissionen), die der Vergangenheit angehören oder regulatorisch bereits adressiert wurden. Eine differenzierte und risikobasierte Regulierung der PFAS-Stoffgruppe (die für sich keineswegs homogen mit Blick auf tatsächliche Gefahrenpotentiale ist!) könnte hier einen Weg aufzeigen, der Emissionen weitgehend verhindert und trotzdem die wichtigen Anwendungsbereiche für o.g. nachhaltige Anwendungen ermöglicht.
Ein undifferenziertes Totalverbot, wie es die EU ausgerufen hat, kann dem allerdings kaum gerecht werden!
Insgesamt wird deutlich: Es besteht ein Zielkonflikt im „Green Deal“ – das Verbot von PFAS konfligiert mit anderen Nachhaltigkeitszielen wie z.B. im Bereich Klima- oder Gesundheitsschutz. Aber damit nicht genug – denn ein europäischer Ausstieg löst die mit PFAS verbundenen Umweltrisiken keineswegs!
Kritische Abhängigkeit und Verlagerung von Umweltrisiken statt innovativer heimischer Produktionsstandorte?
Seit 60 Jahren werden im Chemiepark Gendorf als einzigem Standort in Deutschland Fluorpolymere produziert. Heute befindet sich die Produktion weitestgehend in Händen der Dyneon GmbH, einer hundertprozentigen Tochter der US-amerikanischen 3M-Corporation. Mit rund 18.000 Tonnen Jahresproduktion gehört Dyneon zu den weltweit führenden Herstellern von Fluorpolymeren und ist unter den Marktführern in Europa, insbesondere bei den Fluorpolymer-Spezialitäten (-> High-Tech-Anwendungen!). Dyneon deckt einen wesentlichen Teil des europäischen Gesamtbedarfs ab.
Wie beschrieben sind trotz intensiver Forschung für Alternativen die besonderen Eigenschaften von Fluorpolymeren für viele High-Tech-Anwendungen einer modernen Industriegesellschaft und deren Nachhaltigkeitsambitionen bislang nicht verzichtbar. Der deutschen und europäischen Industrie droht mit dem Ausfall des größten Produzenten von Fluorpolymeren insofern eine kritische Abhängigkeit von den verbleibenden außereuropäischen Produzenten.
Mit Blick auf die Erfahrungen der Lieferkettenprobleme der vergangenen Jahre sowie den zunehmenden geopolitischen Spannungen versucht man solche Lieferkettenabhängigkeiten derzeit politisch eigentlich zu verringern – im vorliegenden Fall könnten sich die Abhängigkeiten sogar massiv verschärfen.
Hinzu kommt, dass die vorwiegend im asiatischen Raum produzierten Fluorpolymere häufig mit hohen Umweltbelastungen verknüpft sind. Dank modernster Technologie, wie sie in Gendorf zum Einsatz kommt, können Fluorpolymere heutzutage weitgehend umweltverträglich produziert werden. Zudem wurde in Gendorf eine weltweit erste Pilotanlage zum Recycling von vollfluorierten Polymeren in Betrieb genommen – ein riesiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft für diese Werkstoffe. Die in Gendorf entwickelten Verfahren werden auch an andere Fluorpolymerhersteller lizensiert und stetig weiterentwickelt. Auf dem Weg zu einer nahezu abwasserfreien (!) und nachhaltigen Produktion mit niedrigstmöglichen PFAS-Emissionen ist der Produktionsstandort in Gendorf weltweit führend. All diese Innovationsbestrebungen könnten nunmehr vor dem Aus stehen.
Drohende Kaskadeneffekte und Schäden am Chemiestandort Bayern
Neben den Risiken für den Industriestandort Deutschland und Europa ist der angekündigte PFAS-Ausstieg von 3M auch für das Bayerische Chemiedreieck ein schwerer Schlag. So steht laut Presseberichten als ein mögliches Szenario die Schließung aller Fluorpolymer-Aktivitäten anstelle ihres Verkaufs im Raum (auch ohne (Teil-)Verkauf von Lizenzen und Patenten!).
Ein solcher Komplettausstieg könnte allein beim Chemiepark Gendorf in einer ersten Phase den Verlust von fast 1.000 der insgesamt rund 3.600 Arbeitsplätze nach sich ziehen.
Darüber hinaus würden weiteren Unternehmen und Standorten im Chemiedreieck negative Folgen drohen. Denn das Chemiedreieck zeichnet sich durch ein ausgefeiltes Verbundsystem aus. Eingriffe in dieses sensible System bergen immer auch Risiken für die Verbundpartner, sei es in Form von Versorgungsausfällen oder aber durch Kostensteigerungen infolge von Kostenprogressionen bzw. der Übernahme bestehender Fixkosten (Standortservices wie z.B. Medienversorgung, Abfallmanagement, Kantine, Ausbildung etc.).
Das würde – zusätzlich zu den bereits hohen Energiekosten und weiteren Standortnachteilen – die Wettbewerbsfähigkeit der Region weiter verschlechtern, so dass diese unter Umständen einen Kipppunkt erreicht. In der Folge könnte für die verbleibenden Unternehmen der Standort Gendorf so unattraktiv im nationalen und internationalen Vergleich werden, dass eine Produktionsverlagerung in andere Regionen stattfindet.
Das Dilemma verbotsgetriebener und undifferenzierter Umweltpolitik
Diese dramatische Situation offenbart das grundsätzliche Problem einer vorwiegend verbotsgetriebenen Umweltpolitik, wie sie auch im Rahmen der EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit und einem vorwiegend gefahrenbasierten Regulierungsdogma vorangetrieben wird.
Selbstverständlich befürwortet auch die Industrie einen klaren regulatorischen Rahmen für den sicheren Umgang mit Stoffen und deren Verwendungen – hier muss eine stetige Verbesserung auch klares Ziel sein. Dabei dürfen aber wichtige wissenschaftliche Grundsätze nicht aus dem Blick geraten.
So sind neben der potentiellen Gefahr von Stoffen auch tatsächliche Expositionsrisiken bei Regulierungsentscheidungen zu berücksichtigen. Und für eine nachhaltige Verwendung von Chemikalien muss eben deren gesamter Lebenszyklus betrachtet werden – letztlich entscheidend muss sein, dass sie sicher und unter Ausschluss großer Risiken verwendet werden können.
Allein undifferenzierte Stoffverbote auszusprechen ohne diese mit ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbetrachtungen und einer flankierenden Innovationsagenda zu verknüpfen, können ungewollte Schutzzielkonflikte und kritische Verwerfungen in der gesamten Industrie hervorrufen.
Der Umgang mit PFAS und die jüngsten Entwicklungen markieren hierfür leider einen Präzedenzfall.
Diese Befürchtung wird nunmehr auch im Rahmen des PFAS-REACH-Beschränkungsvorschlags bestätigt. Die europäische Chemikalienagentur ECHA hat dieses Dossier am 07.02.2023 veröffentlicht (Anhang XV-Beschränkungsbericht – Vorschlag für eine Beschränkung per- und polyfluorierter Alkyle (PFAS)) . Es handelt sich um eines der umfangreichsten Beschränkungsdossiers seit Inkrafttreten der REACH-Verordnung, das ein umfassendes Verbot der Herstellung, der Verwendung und des Inverkehrbringens von mehr als 10.000 PFAS vorsieht. Von dem vorgeschlagenen PFAS-Totalverbot sieht der Beschränkungsvorschlag nur einige wenige generelle Ausnahmen (Biozidwirkstoffe, Pflanzenschutzmittel, Human- und Tierarzneimittel) vor. Ansonsten werden zwar noch eine Reihe an Ausnahmen aufgeführt, die allerdings nur sehr spezifischer Natur und zeitlich befristet sind (6,5 oder 13, 5 Jahre nach Inkrafttreten). Auch die Verwendung von Fluorpolymeren dürfte dahingehend signifikant und weitreichend eingeschränkt werden – und dies trotz einer OECD-Klassifizierung als sichere Werkstoffe (PLC, Polymer of low concern). Damit sind auch wichtige Hightech-Anwendungen inklusive der chemischen Industrie als Anwender im Rahmen des Chemieanlagenbaus von der Beschränkung betroffen.
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht die vorgeschlagene breite PFAS-Beschränkung mit großer Sorge und befürchtet erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Industrie und deren Innovationsfähigkeit. Der BDI hat darüber hinaus eine Handlungsempfehlung veröffentlicht, in der die Möglichkeiten zur Beteiligung der Industrie an der öffentlichen Konsultation beleuchtet werden. Verbände aber auch Unternehmen sind dringend aufgerufen, sich im Rahmen dieser öffentlichen Konsultation aktiv zu beteiligen, um die Betroffenheit zu verdeutlichen.
Bildquelle Titelfoto: iStock-1160757152, iStock-1412982876, iStock-489193525, iStock-1442472646, eigene Collage
Bildquelle Beitragsbilder: iStock-483320599, iStock-489481917, iStock-1407259504, iStock-1407259504, ChemDelta Bavaria, eigene Collagen