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5. September 2017Chemieverbände fordern durchgehenden Chemieunterricht
Für das 9-jährige Gymnasium hat das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst kürzlich neue Stundentafeln veröffentlicht, die aus Sicht der Bayerischen Chemieverbände Lücken im Chemieunterricht aufweisen
Mit großer Sorge verfolgen die Bayerischen Chemieverbände die Diskussion rund um den jüngst veröffentlichten Entwurf der Stundentafeln für das neue G9.
Dabei sind es vor allem zwei Entwicklungen, die – falls hier nicht umgesteuert wird – zu einem weiteren Verfall der naturwissenschaftlichen Grundbildung an bayerischen Gymnasien führen werden.
So hat die bisherige Ausgestaltung der gymnasialen Oberstufe bereits heute zur Folge, dass seit der Einführung des G8 die Zahl der Abiturienten, die im schriftlichen Abitur naturwissenschftliche Fächer wählen, um 74 % (Physik), 83 % (Chemie) bzw. 92 % (Biologie) gesunken ist.
Diese fatalen Entscheidungen sind dazu geeignet, zur Erosion der Naturwissenschaften an bayerischen Gymnasien beizutragen, mit unabsehbaren Folgen für das Industrieland Deutschland!
Zwar besucht rund die Hälfte der Gymnasiasten in Bayern den naturwissenschaftlich-technologischen Zweig. Aber ausgerechnet in einer Naturwissenschaft muss selbst hier kein Abiturient in Bayern eine Abiturprüfung ablegen. Die überproportional hohen Abbrecherzahlen in den naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen sind möglicherweise auch eine der Folgen dieser Entwicklung. Statt diesen Trend umzukehren, wird dieser durch die vorgeschlagene neue Stundentafel für das G9 – insbesondere, was das Fach Chemie betrifft – voraussichtlich sogar noch weiter verstärkt.
Die Entscheidung, das Fach Chemie in der 11. Jahrgangsstufe des „nicht-naturwissenschaftlich-technologischen“ Zweiges mit keiner einzigen Stunde vorzusehen, führt faktisch dazu, dass diese Schülerinnen und Schüler den Chemieunterricht auch in der 12. und 13. Jahrgangsstufe nicht wählen werden, wenn sie vorher ein Jahr lang keinen Chemieunterricht besuchen konnten.
Naturwissenschaftliche Bildung ist auch essentiell für den Erhalt unserer Innovationskraft
Der Wohlstand in Deutschland und Bayern, den wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern aktuell genießen, ist wesentlich auf den hohen Anteil industrieller Wertschöpfung zurückzuführen. Die Innovationskraft unserer Unternehmen, allen voran die der chemisch-pharmazeutischen Industrie, ist der Schlüssel für unseren Erfolg im internationalen Wettbewerb.
Gerade die großen Herausforderungen der Zukunft, insbesondere auf den Feldern Energie, Klimaschutz, Mobilität, Gesundheit oder Ernährung, um nur einige zu nennen, sind ohne das Innovationspotential der chemisch-pharmazeutischen Industrie nicht zu meistern. Schlüsseltechnologien, wie z.B. Materialforschung, Energie- und Speichertechnik, Biotechnologie, Gentechnik, Nanotechnologie, Digitalisierung, sind ohne Chemie nicht denkbar.
Ob uns auch in Zukunft die hierfür benötigten Fachkräfte im Bereich Forschung und Entwicklung, aber auch in der Produktion zur Verfügung stehen, entscheidet sich nicht zuletzt dadurch, wie naturwissenschaftliches Interesse an unseren Schulen geweckt und gefördert wird.
Die Bayerischen Chemieverbände seztzen sich aktiv für die Förderung der naturwissenschaftlichen Grundbildung an bayerischen Schulen ein
Die Bayerischen Chemieverbände selbst leisten seit vielen Jahren durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen einen Beitrag dazu, das naturwissenschaftlich-technische Interesse junger Menschen frühzeitig zu wecken und zu fördern und die darauf gerichtete Bildung durch einen praxisnahen, interessanten Unterricht zu verbessern.
Ob mit Schülertagen an bayerischen Hochschulen, der „Chemieolympiade“ oder „GoBiochem“ bis hin zu Chemiedidaktik- und Fortbildungsveranstaltungen für Lehramtsstudenten, Grundschul- und Gymnasiallehrer – die Bayerischen Chemieverbände engagieren sich intensiv, jungen Menschen Wissen und Urteilsfähigkeit auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet zu vermitteln.
Naturwissenschaftliche Bildung ist auch ein wichtiger Schritt hin zur gesellschaftlichen Technologieoffenheit
Das naturwissenschaftliche Interesse junger Menschen zu stärken, hat neben der Fachkräftesicherung einen weiteren für unsere Industrie essentiellen Aspekt:
Das ist die nicht zu unterschätzende Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz von Naturwissenschaft und Technik sowie neuer Technologien bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen. In einer „postfaktischen“ Welt, in der leider Meinungen oft mehr zählen als fundiertes Wissen, ist die Gefahr groß, dass fehlendes Wissen und diffuse Ängste den idealen Nährboden für mediale Angstmacher und pauschale Ablehnung innovativer Lösungen bilden.
Hier hilft nur Aufklärung und die Vermittlung eines fundierten naturwissenschaftlich-technischen Grundwissens, das gerade die jungen Menschen in die Lage versetzt, sich wissensbasiert eine eigene Meinung zu bilden und offen für neue Technologien zu sein.
Die in der neuen Stundentafel u.a. geplante Stärkung der politischen Bildung leistet in Zeiten einer tendenziellen politischen Radikalisierung sicher einen wichtigen Beitrag zur Förderung eines demokratischen Verständnisses. Auch können im Geschichts- und Sozialkundeunterricht die Ursachen und Wirkungszusammenhänge extremer gesellschaftlicher Entwicklungen bewusst gemacht werden.
Die reale Grundlage für Wohlstand, gut bezahlte Arbeitsplätze und sozialen Frieden als bestes Mittel gegen radikale Tendenzen in einer demokratischen Gesellschaft schaffen aber die Wirtschaft und die Industrie
Es wäre daher auch und gerade aus gesellschaftspolitischer Sicht brandgefährlich, eine innovationsgetriebene Industrienation ihrer naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen zu berauben.
Leider bildet der Umgang mit dem Fach Chemie in der geplanten Stundentafel des G9 ein weiteres Mosaiksteinchen in dem hier gezeichneten Bild einer kritischen Entwicklung der naturwissenschaftlich-technischen Bildung, die wir seit einigen Jahren beobachten.
Hier finden Sie weitere Artikel und Informationen zu dem Thema:
- VCBG_Stellungnahme_Stundentafel_G9_Sept17
- Süddeutsche Zeitung
- Münchner Merkur
- Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
Bildquelle: 743803_original_r_k_b_by_tim-reckmann_pixelio