Tag der Chemie in Frankfurt
28. September 2023Beginnt jetzt der Abstieg vom Gipfel?
13. Oktober 2023Bürokratieabbau beginnt bei der Rechtssetzung
Warum Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung in Deutschland regelmäßig scheitert
Wir sind uns ja eigentlich alle einig. In Deutschland geht es viel zu langsam voran. Der hohen Ambition in puncto Klimaschutz und Nachhaltigkeit stehen vielfach nur verkrustete Strukturen und immer längere und kompliziertere Verwaltungsverfahren entgegen. Also muss ein Aufbruch her und die Politik ruft selbstbewusst Deutschland-Tempi und allerlei Pakte aus – oder versucht mit Bürokratieabbau-Initiativen einen neuen Geist der schlanken Verwaltung zu suggerieren. Alles bislang leider nur mit mäßigem Erfolg und nicht selten nur mit eher symbolischem Wert. Jetzt kann man sicher ins Feld führen, dass es eben den einen Befreiungsschlag von jahrzehntelanger Komplexitätssteigerung und komplizierter Verflechtung von völker-, EU-, bundes- und landesrechtlichen Vorschriften in der Planungs- und Umweltregulierung nicht gibt – und auch die mehr oder eher weniger schnelle Digitalisierung kein Allheilmittel ist. Well-taken! Aber sind wir uns denn sicher, dass wir an den zuständigen Stellen WIRKLICH und WAHRHAFTIG Bürokratieabbau und effiziente Verfahren wollen? Dazu ein aktuelles und symptomatisches Beispiel:
Die von der großen Politik wenig beachtete „31. BImSchV“ wurde dieser Tage parlamentarisch beraten. Mal wieder eine Umsetzungsnotwendigkeit europäischer Rechtssetzung, die ja dynamisch den Stand der Technik immer wieder neu justiert. Soweit so gut. Aber ganz klammheimlich läuft es wie so oft: Im fachlichen Dickicht – kaum nachvollziehbar für den Laien – werden über das EU-Recht hinaus zusätzliche Anforderungen festgelegt. In diesem Fall sind es wiederkehrende Prüfpflichten für sog. Lösemittelbilanzen von bestimmten Industrieanlagen durch Sachverständige. Obwohl seit langem etabliert und häufig auch digitalisiert wird mit pauschalem Misstrauen gegenüber Unternehmen wieder einmal ein zusätzliches Gutachten fällig – wohlgemerkt: Diese Anlagen unterliegen ohnehin einem regelmäßigen behördlichen Überwachungsregime. Und schon jetzt kann man sicher sein, dass sich ein solcher „Bürokratiekeim“ in Zukunft als Standardregelung ausbreiten wird, wenn europäisch für weitere Anlagentypen Lösemittelbilanzen festgelegt werden – die Fachleute wissen, dass hier die Umsetzung des WGC-BREF am Horizont entsprechendes birgt. Heute sind es dann ein paar Gutachten mehr, übermorgen dann vielleicht eine ganze Flut. Und auf der Zielgeraden des Rechtsetzungsverfahren stellt dann auch noch der Bundesrat kundig fest, dass man doch dringend kurzfristig mit den zuständigen Kammern auch noch die Voraussetzungen für die Bestellung und Vereidigung der neuen Lösemittel-Sachverständigen schaffen müsste. Es gilt eben wie so oft der „erste Satz der Bürokratiedynamik“: Bürokratie – ist sie einmal in der Welt – schafft eben immer mehr Bürokratie.
Und das sind dann genau die Puzzle-Steine, warum in Summe die Verfahren in Deutschland – manchmal im Kleinen, manchmal im Großen – immer komplizierter werden, Gutachter überlastet sind und Unternehmen zunehmend verzweifeln. Denn Bürokratieabbau beginnt schon bei der Rechtsetzung – und man muss ihn vor allem auch wirklich wollen. Weder das zuständige Bundesministerium als Urheber des Rechtstextes, noch der Bundestag oder gar der Bundesrat hatten bei der 31. BImSchV die Kraft, dieses nationale „Gold-plating“ europäischer Regelungen, diesen neuen Bürokratiekeim zu verhindern. Womit wir wieder am Anfang stehen: Wir sind uns ja eigentlich alle einig. In Deutschland geht es viel zu langsam voran…
BIldquelle: iStock-867003368