Die Teilhabe und Mitwirkung an gesellschaftspolitischen Diskussionen erfordert mehr denn je eine naturwissenschaftliche Grundbildung. Zunehmend stehen Fragen der Technikfolgenabschätzung und Risikobewertung im Fokus und erfordern einen fundierten wissensbasierten gesellschaftlichen Konsens. Themen wie:
sowie die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft bei weiterwachsender Weltbevölkerung, können nur sinnvoll angegangen werden, wenn die zugrundeliegenden Vorgänge und Naturgesetze verstanden und (bio)ethische und naturphilosophische Betrachtungen berücksichtigt werden.
Die gymnasiale Allgemeinbildung muss es jungen Erwachsenen ermöglichen, diese Themenfelder fachlich zu durchdringen. Nur dann können anschließend rechtliche, ethische und kulturelle Aspekte analysiert, bewertet und zwischen Alternativen wertebasiert entschieden werden. Eine fundierte naturwissenschaftliche Grundbildung sichert letztlich den technologischen Vorsprung unserer Wirtschaft und somit den Lebensstandard in unserem Land. Wir können uns weder einen Fachkräftemangel im MINT-Bereich und noch eine auf fehlendem Grundwissen basierende Technikfeindlichkeit leisten.
Umsetzungsmöglichkeiten zu den Forderungen im Einzelnen:
Gleichstellung der Aufgabenfelder
Die Abiturprüfung sollte weiterhin aus drei schriftlichen (Vertiefungsfächer) und zwei mündlichen Prüfungen bestehen. Um die o. g. Anforderungen zu erfüllen, muss – anders als bisher geplant – sichergestellt sein, dass drei der Abiturprüfungsfächer aus den vier Bereichen Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften und ein weiteres aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften stammt. Damit ist eines der drei schriftlichen Abiturprüfungsfächer über die Vertiefungsfächer frei wählbar. Insbesondere muss es als erweiterte Förderung von naturwissenschaftlich interessierten Schülerinnen und Schülern und gemäß der Gleichstellung zu den Sprachen auch möglich sein, zwei Naturwissenschaften oder eine Naturwissenschaft und Informatik als Abiturfächer wählen zu können.
Die Verbände fordern eine Einbringung von mindestens vier Halbjahresleistungen für eine Naturwissenschaft zusätzlich zu Mathematik – unabhängig von der Anzahl der belegten Fächer aus dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Aufgabenfeld.
Einführung von Vertiefungsfächern und grundständigen Fächern
Vertiefungsfächer ermöglichen eine verstärkte Auseinandersetzung mit abstrakten Inhalten und fördern durch das stärker wissenschaftspropädeutische Arbeiten die Studierfähigkeit. Gleichzeitig ermöglichen sie eine interessengerechte fachliche Profilierung sowie eine effizientere Begabtenförderung. Die Rückkehr zum G9 bietet die Chance, durch ein sinnvolles und interessengerechtes Profilierungsangebot in der Oberstufe den Studienerfolg auch im MINT-Bereich wieder zu verbessern, um im internationalen Vergleich nicht abzufallen. Ein für alle gleich verpflichtendes vierstündiges Kernfach Mathematik kann dies ebenso wenig leisten, wie lediglich zweistündige grundständige Kurse in den Naturwissenschaften.
Eine begabungs- und interessengerechte Oberstufe, die auch den Anforderungen im Bereich der digitalen Bildung und der MINT-Bildung gerecht werden kann, erfordert fünfstündige Vertiefungsfächer nach Wahl der Schülerinnen und Schüler, die dann auch abiturrelevant sein sollten.
Es wäre daher sinnvoll, grundsätzlich drei Vertiefungsfächer einzurichten, davon zwei verpflichtend aus den Bereichen Deutsch, Mathematik, Fremdsprache oder Naturwissenschaften. Gerade im MINT-Bereich, genau wie in den Sprachen, sollte unbedingt vermieden werden, weniger als drei Unterrichtsstunden zu unterrichten, da sonst die komplexen Unterrichtsinhalte kaum vermittelt werden können. Neben Mathematik sollten mindestens zwei Naturwissenschaften bzw. eine Naturwissenschaft und Informatik belegt werden können.
Schließen der Chemie-Lücke in der 11. Jahrgangsstufe
Eine 11. Jahrgangsstufe ohne Biologie- und Chemieunterricht kann eine Orientierung hin zu den MINT-Fächern nicht im notwendigen Maße leisten. Ein moderner Oberstufenunterricht im Fach Biologie ist ohne fundiertes chemisches Grundwissen kaum möglich. Zukunftsträchtige Studiengänge aus dem Bereich der Heilberufe, der Bio-, Chemie- und Ingenieurwissenschaften sind ohne eine naturwissenschaftliche Fundierung in der Oberstufe kaum studierbar. Die hohen Abbrecherquoten im MINT-Bereich sprechen hier eine deutliche Sprache.
Um den Schülerinnen und Schülern der humanistischen, sprachlichen, musischen, sozialwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasien in der Oberstufe einen gleichberechtigten Zugang zum Biologie- und Chemieunterricht in der Kursphase der Oberstufe (12./13. Klasse) zu ermöglichen, muss entweder durch das Einrichten von Wahlpflichtkursen oder durch Stundenreduktion in anderen Fächern in der 11. Klasse zumindest Chemieunterricht angeboten werden. So lässt sich auch die Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) zu einer Belegungsverpflichtung der Abiturprüfungsfächer in der Orientierungsstufe wieder erfüllen.
Alternativ bietet es sich an, einem Teil der Schülerinnen und Schülern an nicht-naturwissenschaftlichen Gymnasien eine naturwissenschaftliche Umprofilierung an ihrer Schule zu ermöglichen, indem diese in der 11. Jahrgangsstufe ihr jeweiliges Zweigprofilfach (z. B. Griechisch, 3. Fremdsprache, Wirtschaft, Musik/Kunst) durch ein 3-stündiges Profilfach (Bio)Chemie ersetzen können. Dies bedeutet, dass bereits im Unterricht zur beruflichen Orientierung in der 9. + 10. Jahrgangsstufe die Schülerinnen und Schüler systematisch auf eine Profilierung in der Oberstufe und eine mögliche Studien- und Berufsorientierung vorbereitet werden müssen.
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