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26. Mai 2021ChemDelta Bavaria: Energiegipfel mit Bayerischem Wirtschaftsministerium und Stromnetzbetreibern zeigt dringenden Handlungsbedarf
8. Juni 2021Ist eine Brennstoffzellmembran eigentlich „essentiell“?
Oder anders: Was sind Fluorpolymere, warum sind sie so wichtig und wer genau kann eigentlich festlegen, was „essentielle Verwendungen“ dafür sind?
Die europäische Kommission will im Rahmen ihrer im vergangenen Jahr angekündigten Chemikalienstrategie auch die sog. „PFAS“ (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) regulieren. Diese Verbindungen sollen in ihrem Gebrauch eingeschränkt und nach Möglichkeit völlig substituiert werden – lediglich „essentielle Verwendungen“ sollen noch möglich sein. Hintergrund ist, dass PFAS vermehrt in der Umwelt auftreten und die EU die Gefahr sieht, dass diese Verbindungen Umwelt und Gesundheit von Mensch und Tier schädigen können.
Eine solche pauschale Annahme ist jedoch nicht gerechtfertigt. Denn PFAS beschreibt eine Stoffgruppe, die über 4.700 verschiedene Chemikalien umfasst, wozu auch z.B. Fluorpolymere wie Polytetrafluorethylen (PTFE) zählen. Allerdings haben diese physikalische, chemische und biologische Eigenschaften, die sich deutlich von denen anderer PFAS unterscheiden.
Fluorpolymere wie Polytetrafluorethylen (PTFE) sind
- langlebig, stabil und mechanisch stark auch unter rauen Bedingungen;
- stabil in Luft, Wasser und Sonnenlicht, sowie gegenüber Chemikalien und Mikroben;
- chemisch inert und biokompatibel;
- nicht benetzend, nicht klebend und hochgradig temperatur-, feuer- und witterungsbeständig.
Sie weisen also gar nicht die ökologischen und toxikologischen Eigenschaften auf, die mit bestimmten Fluorchemikalien der PFAS-Familie in Verbindung gebracht werden.
Struktur von „Polytetrafluorethylen“.
Fluorpolymere bestehen aus langen Kohlenstoffketten (wie eine Perlenschnur), an der Fluoratome direkt gebunden sind. Dabei wiederholt sich ein strukturelles Element immer wieder (hier das Beispiel „Polytetrafluorethylen“, das mengenmäßig wichtigste Fluorpolymer). Die außergewöhnlichen Eigenschaften der Fluor-Kohlenstoff-Bindung machen auch Fluorpolymere zu ganz außergewöhnlichen Werkstoffen.
! Wozu braucht es eigentlich Fluorpolymere?
- Automotive
- Bau/Architektur (z.B. Dach der Allianz-Arena)
- Chemie
- Elektronik
- Energieerzeugung
- Erneuerbare Energien
- Ernährung und Pharma
- Flugzeugbau
- Textilien
- Medizinprodukte
Bei Fluorpolymeren handelt es sich also um spezielle Kunststoffe, die in strategischen Bereichen wie Energiegewinnung und -umwandlung, Luft- und Raumfahrt, Mobilität, Elektronik, pharmazeutische Herstellung und in medizinischen Anwendungen eingesetzt werden. Viele moderne Prozesse und Produkte hängen von den Eigenschaften dieser Materialien und ihren Kombinationsmöglichkeiten ab: Sie sind dauerhaft stabil und behalten ihre Funktionalität selbst unter extremen Einsatzbedingungen. Es sind ihre spezifischen Eigenschaftskombinationen, die von keiner der Alternativen erreicht werden und die sie deshalb so wertvoll machen.
Weitere umfassende Details zu Fluorpolymeren, deren Eigenschaften und konkrete Anwendungsbereiche finden sich auf der neuen Webseite der Fluoropolymers Group von PlasticsEurope, der pan-europäischen Vereinigung der Kunststofferzeuger.
Schema einer Polymerelektrolytbrennstoffzelle.
Für die dünne protonenleitende Membran (Elektrolyt) werden u.a. perfluorierte Copolymere eingesetzt (= Polymere mit unterschiedlichen Einzelbausteinen, wie z.B. bei Nafion). Die technischen Eigenschaften der Polymermembran sind für die Funktionalität solcher Brennstoffzell-Typen sehr wichtig. Auch in anderen Bereichen wie z.B. für Elektrolyseanwendungen (Stichwort: Wasserstofferzeugung) sind solche Polymermembrane wichtige Komponenten, wo vielfach die besonderen Eigenschaften von Fluorpolymeren zum Einsatz kommen (und wo auch weiterhin Forschung zur Optimierung betrieben wird).
! Wie möchte die EU-Kommission PFAS und damit auch Fluorpolymere regulieren – und was sind eigentlich „essentielle Verwendungen“?
Diese Fragen zeigen schon, dass es nicht so einfach ist, zu sagen, was eigentlich „essentiell“ ist. Was ist z.B. mit zukünftigen Technologien, die wir noch gar nicht kennen, die aber vielleicht unverzichtbar werden? Ist das erstmal alles verboten und wer erlaubt es dann vielleicht doch? Es wird jedenfalls ein schwieriges Unterfangen für die Kommission (und die beteiligten europäischen Institutionen) zu definieren, was für die Gesellschaft eigentlich essentiell ist – ohne dabei in planwirtschaftliches Regulierungs-Klein-Klein zu verfallen. Es stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob das Chemikalienrecht für solche gesellschaftlichen Fragen der richtige Ort ist…
Und nicht zuletzt müssen europäische Hersteller in diesem Regulierungsansatz ökonomisch wirtschaftliche Perspektiven haben – ein Geschäftsmodell alleine auf Basis einer Momentaufnahme regelmäßig auf dem Prüfstand stehender „essentieller Verwendungen“ aufzubauen, scheint hier nur bedingt darstellbar zu sein.
Statt einer hochkomplexen und planwirtschaftlichen Festlegung von „essentiellen Verwendungen“ wäre es vermutlich besser, solche Rahmenbedingungen in den Fokus zu stellen, die sichere und nachhaltige Verwendungen von Chemikalien gewährleisten, negative Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt minimieren sowie eine Identifizierung und das Management inakzeptabler Risiken ermöglichen.
! Macht eine undifferenzierte Regulierung der Vielzahl an unterschiedlichen PFAS überhaupt Sinn – und was würde das für Fluorpolymere und andere Werkstoffe bedeuten?
So könnte eine zu wenig differenzierende Regulierung für Fluorpolymere innerhalb der EU-Chemikalienstrategie die Sicherheit, Verlässlichkeit und Innovationsfähigkeit wichtiger gesellschaftlicher Bereiche beeinträchtigen (s.o.). Es gilt hierbei für Fluorpolymere Folgendes zu berücksichtigen:
- Persistenz in einem Produkt bedeutet Langlebigkeit – eine höchst wünschenswerte Eigenschaft in vielen sicherheitskritischen Produkten und Anwendungen. Fluorpolymere erfüllen dabei im Übrigen nicht die REACH-Persistenz-Kriterien für eine Beschränkung.
- Persistenz in der Umwelt ist nicht gleichzusetzen mit Toxizität, Bioakkumulation und Mobilität – das Kriterium der Persistenz darf daher nicht dazu verwendet werden, damit Fluorpolymere zu regulatorischen Zwecken mit „bedenklichen PFAS“ gruppiert werden. Im Übrigen zielt kein bestehendes Abkommen oder Regelwerk darauf ab, eine Chemikalie allein aufgrund ihrer Persistenz zu beschränken oder zu klassifizieren.
Ähnlich problematische Fragestellungen ergeben sich im Übrigen auch für andere Werkstoffe, wie fluorierte Polymere (mehr hierzu auch hier, hier oder hier), die ebenfalls unter den Oberbegriff PFAS eingeordnet werden. Dies zeigt einmal mehr, wie dringend eine differenzierte Betrachtung bei PFAS-Regulierungsansätzen nötig ist.
!
Was wären die Folgen einer undifferenzierten PFAS-Regulierung bei Fluorpolymeren?
Das Thema „PFAS“ und „essentielle Verwendungen“ ist im Übrigen nur eines von vielen Aspekten, die die EU-Kommission in der „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ angehen will (mehr dazu hier). Mit deren Ausgestaltung steht die europäische Chemie an einem Scheideweg. Sollte die Chemikalienstrategie unverändert umgesetzt werden, wird sich die Zahl verfügbarer Chemikalien in Europa deutlich verringern. Gleichzeitig wird der Erfüllungsaufwand für regulatorische Pflichten stark steigen. Dies wird einen enormen Einfluss auf Investitionen und Innovationen haben und darüber entscheiden, ob die Lösungen der chemisch-pharmazeutischen Industrie für wichtige Zukunftsaufgaben – egal ob Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft oder Gesundheitsschutz – zukünftig aus Europa oder aus Ländern mit (schon heute) weniger hohen Umweltstandards kommen werden.
Man kann nur hoffen, dass die EU-Kommission (und die europäische Chemikalienagentur als nachgelagerte Behörde) – wie es auch angekündigt wurde – einen konstruktiven aber vor allem ergebnisoffenen Dialog mit Industriebeteiligung ermöglichen wird, bevor konkrete Vorschläge zur Änderung von Vorschriften gemacht werden. Hier müssen auch Schutzzielkonflikte ehrlich angesprochen werden dürfen und in dringend benötigte Folgenabschätzungen einfließen.
Bildquellen:
- Teflon structure.svg, Roland1952, Wikimedia Commons
- Fuel_cell_PEMFC.svg, Matt/Nécropotame, Wikimedia Commons