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23. Mai 2019Energie: Deutschland braucht Masterplan für Energiewende – Interview mit Wacker Vorstand Dr. Rudolf Staudigl
Deutschland braucht Masterplan für Energiewende
Sonst verschwinden wichtige Technologien und hochbezahlte Arbeitsplätze – Interview mit Wacker Vorstand Dr. Rudolf Staudigl
Region/München. Die Sorge um eine sichere Stromversorgung – in ausreichender Menge, inkontinuierlicher Qualität und vorallem zu wettbewerbsfähigen Preisen mit Blick auf den Weltmarkt brennen der Industrie im Bayerischen Chemiedreieck auf den Nägeln. In der jüngsten Bilanzpressekonferenz der WackerChemie (Heimatwirtschaft berichtete) hat Dr. Rudolf Staudigl, Vorstandsvorsitzender der Wacker Chemie AG, Produktverlagerungen aus dem Standort Burghausen für den Ernstfall nicht ausgeschlossen, falls die Anforderungen an die Stromversorgung nicht erfüllt werden können. (Zum enormen Stromverbrauch im Bayerischen Chemiedreieck siehe Info-Kasten).
Herr Staudigl, in der jüngsten Bilanzpressekonferenz der WackerChemie AG haben Sie die Sorgender Chemischen Industrie in Bayern mit Blick auf die Zukunft der Stromversorgung aufgegriffen. Sie haben für den Wacker Standort Burghausen sogar mögliche Produktionsstilllegungen angesprochen. Welche Bereiche wären denn im Ernstfall betroffen?
Dr. Rudolf Staudigl: Es geht nicht darum, dass wir von heute auf morgen Anlagen schließen oder Produktionen verlagern wollen. Fakt ist: Wir müssen alle Produktionsbereiche konkurrenzfähig halten, sonst haben die Standorte, die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung im Land keinen Bestand. Und hier ist der Weltmarkt der Maßstab. In China zum Beispiel kostet der Strom für vergleichbare Branchen weniger als zwei Cent die Kilowattstunde. Und da vor allem die Gewinnung von hochreinem Polysilicium enorme Energiemengen erfordert, steht außer Frage, welcher Bereich als erster betroffen sein könnte.
Und das, obwohl die Wacker Chemie in diesem Bereich die Technologieführerschaft hält? Sie betonen doch stets, der Standort Burghausen sei das Herz des WackerKonzerns mit seinen Engagements in Europa, USA und Asien?
Dr. Staudigl: Das trifft zu. Aber stets hat Wacker klar gemacht, dass dieses Herz fit sein muss, um im Bild zu bleiben. Und daran haben wir alle gearbeitet. Wir habenden Standort stets fit gehalten und halten ihn fit. Gerade in Burghausen hat es in den vergangenen Jahren immer wieder Änderungen und Verbesserungen im Produktionsspektrum gegeben. Sie erinnern sich noch an den Ausstieg aus der Produktion von Vinylchlorid und Essigsäure. Wir haben uns damals von angestammten, nicht mehr wettbewerbsfähigen Produkten verabschiedet, die über Jahrzehnte bei Wacker für die Wertschöpfung in Burghausen mitbestimmend waren.
Aber gerade Polysilicium gilt doch als Material der Zukunft für die Digitalisierung und die Gewinnung von Solarenergie?
Dr. Staudigl: Auch das ist richtig.Wir halten hier die Technologieführerschaft. Kaum ein modernes Elektronikgerät, in dessen Halbleiterbauteilen nicht Polysilicium von Wacker verbaut ist. Und kaum ein Hochleistungssolarmodul, das nicht Polysilcium aus einer unserer Anlagen enthält. Aber wir dürfen hier nicht die Gestehungskosten außer acht lassen. Die werden zwar von der eingesetzten Technologie beeinflusst, aber auch zu einem wesentlichen Teil von den Strompreisen in der energieaufwändigen Herstellung.
Heißt das, einmal verkürzt gesagt,Sie fordern für die Industrie in Deutschland die gleichen Strompreise wie zum Beispiel in China?
Dr. Staudigl: Nein, das nicht. Wie gesagt, wir haben leistungsfähige Verfahren entwickelt, vor allem mit Blick auf den CO²-Aus-
stoß in der Produktion.Unsere Technologie verursacht nur ein Viertel bis höchstens ein Drittel des CO²-Ausstoßes wie er in China für das gleiche Produktionsvolumen anfällt. Wenn jetzt aber die Strompreise deutlich anziehen, weil die Versorgung knapp wird, oder weil sie aus anderen Gründen mit zusätzlichen Abgaben belastet werden, dann kann es passieren, dass unser Polysilicium, trotz der hohen Qualität und trotz des vergleichsweise niedrigen Ausstoßes an CO², mit den Weltmarktpreisen nicht mehr mithalten kann.
Mit den befürchteten Konsequenzen für Burghausen?
Dr. Staudigl: Nicht nur das. Auch die gesamte ökologische Kalkulation und Argumentation würde dadurch ad absurdum geführt. Wenn in Deutschland hohe Stromkosten und CO²-Steuern gefordert werden, um den CO²-Ausstoß zu minimieren, wird einerseits einer wichtigen Hochtechnologie der wirtschaftliche Boden entzogen und andererseits der weltweite CO²-Ausstoß nach oben getrieben. Unsinnig und klimaschädlich!
Was macht denn Ihre Sorgen so akut? Oder andersherum gefragt: In welchem Aspekt – in der Qualität,der Quantität oder im Preis liegt Ihre Hauptsorge?
Dr. Staudigl: Alle drei Aspekte sind für uns wichtig und besorg-niserregend. Engpässe in der Stromversorgung sind absehbar, wenn zum einen die letzten beiden bayerischen Kernkraftwerke abgeschaltet werden und der Bau der Stromleitungen aus Norddeutschland, die Energie aus Windkraftanlagen nach Süden transportieren sollen, nicht weitergeht – entweder weil diese Technologie in der Praxis noch ungeahnte Herausforderungen birgt, oder weil die Leitungen aufpolitisch nachhaltigen Widerstand stoßen. Ernst zu nehmende andere Ersatzinvestitionen sind aber auch nicht in Sicht.
Aber der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger macht doch einen konkreten Vorschlag, wie man die Problematik lösen könnte, zum Beispiel durch den Bau neuer Gaskraftwerke.
Dr. Staudigl: Gaskraftwerke haben tatsächlich den Vorteil, dass sie grundlastfähig sind und mit weniger CO²-Ausstoß Strom produzieren als Kohlekraftwerke.
Und wo liegt das Problem?
Dr. Staudigl: Gaskraftwerke werden in zwei bis drei Jahren, wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, nicht in der notwendigen Zahl und mit ausreichender Leistung zur Verfügung stehen. Außerdem haben sie den wirtschaftlichen Nachteil, dass sie im Betrieb teuer sind und deshalb der Strom, den sie erzeugen, zu höheren Preisen verkauft werden muss, um die Kosten zu amortisieren. Das führt wiederum zur Zwickmühle, die ich bereits angesprochen habe. Wenn der kritische Wert für den Strompreis in Deutschland überschritten wird, rechnen sich bestimmte Produktionsverfahren hierzulande nicht mehr, auch wenn sie in der Technologie noch so zukunftsträchtig und ökologisch sinnvoll sind. Und eine Subventionierung dieser Gaskraftwerke und ihres Stroms würde wohl von der EU nicht genehmigt werden.
Könnte da nicht eine politische Absicht dahinter stecken? Eine langfristige Strategie, dass man bestimmte Industriebranchen in Deutschland nicht mehr haben will, so wie sie die britische Premierministerin Margaret Thatcher in den 80-er Jahren mit ihrer offen erklärten Politik der De-Industrialisierung in Großbritannien vorangetrieben hat?
Dr. Staudigl: Ich glaube nicht, dass es in ernst zunehmenden Kreisen eine solche Strategie gibt. Aber ich kann nur davor warnen, die Hürden für unsere industrielle Basis immer weiter zu erhöhen. Was De-Industrialisierung bedeutet, das kann man seit Jahren in Großbritannien beobachten. Und man darf sich dann auch in Deutschland nicht wundern, wenn gut bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie verschwinden und prekäre Arbeitsplätze in der Dienstleistung zunehmen. Hier haben wir es selbst in der Hand, die Weichen zu stellen.
Herrscht wenigstens in der Wirtschaft Einigkeit, dass Deutschland die Industrieproduktion, und auch, dass der Norden den Süden braucht? Es könnte doch sein, dass durch die Verteuerung süddeutscher Standorte, weil sie mittelfristig fernab von ausreichender Stromversorgung liegen, diese zugunsten norddeutscher Alternativen an Attraktivität verlieren?
Dr. Staudigl: Da sind wir uns in den Verbänden einig, dass die Wirtschaftskraft in Deutschland, von der wir alle profitieren, sowohl leistungsfähige Standorte im Norden wie im Süden braucht. Von Verschwörungstheorien halte ich im übrigen nichts.
Aber es könnte doch passieren, dass es in Deutschland in naher Zukunft zwei Strompreiszonen für die Industrie gibt – mit der teureren Zone im Süden?
Dr. Staudigl: Darin liegt eine sehr konkrete Gefahr. Deshalb ist es notwendig, die Leitungsnetze im Norden und Süden Deutschlands effizient zu verbinden.
Und wie stehen Sie zu den Vorschlägen des bayerischen Wirtschaftsministers zur dezentralen Erzeugung?
Dr. Staudigl: Gerade in diesem Punkt haben wir im Bayerischen Chemiedreieck, nicht nur am Standort der Wacker Chemie, sondern auch an den anderen Standorten das Maximum des Möglichen ausgereizt – durch den Einsatz von Wasserkraft und durch moderne Gasturbinen. Vor wenigen Jahren haben wir den Alzkanal und das zugehörige Wasserkraftwerk, erst vor wenigen Tagen die Gasturbine am Standort auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Das Problem ist, den Strombedarf für die Produktion am Standort können wir nicht völlig aus eigenen Kraftwerken decken. Auch vom Wirtschaftsminister habe ich bisher noch keine Idee gehört, wie eine weitere Dezentralisierung der öffentlichen Stromversorgung wettbewerbsfähige Kosten bringen soll.
Jetzt gibt es in nördlichen Gemeinden des Chemiedreiecks Diskussionen und Proteste gegen Pläne für eine neue 380-KV-Leitung, um die bestehende 220-KV-Leitung aus den 60-er Jahren abzulösen. Braucht es denn diese neue Trasse?
Dr. Staudigl: Ich will hier nicht auf Trassen-Details eingehen,aber wir brauchen jede Maßnahme, um die Infrastruktureinrichtungen sicherer und zukunftsfähiger zu machen.
Was könnte man denn konkret unternehmen, um die absehbare Engpasssituation in der Stromversorgung, aber auch in der Preisgestaltung zu entschärfen?
Dr. Staudigl: Zunächst einmal die Strompreise nicht mit zusätzlichen Abgaben belasten. Ich bin überzeugt, auch in Deutschland lassen sich zudem Lösungen finden, die mit dem EU-Recht konform gehen, die Strompreise für die energieintensiv produzierende Industrie so zu gestalten, dass die Standorte international wettbewerbsfähig bleiben. In Frankreich ist das schließlich auch möglich.
Ist das nicht ein Ansatzpunkt für eine neue Industriepolitik, wie Bundeswirtschaftsminister Alt-meier sie fordert?
Dr. Staudigl: Eine gute Industriepolitik ist notwendig. Sie muss in erster Linie für leistungsfähige Standortbedingungen für alle Unternehmen im Land sorgen. Dazu gehören eine gute Verkehrs- und Transportinfrastruktur, leistungsfähige Internet-Anbindungen und eben auch eine leistungsfähige Versorgung mit Energie zu konkurrenzfähigen Preisen. Das könnte auch bedeuten, dass die beiden bayerischen Kernkraftwerke noch eine Weile länger am Netz bleiben, bis die Versorgung aus alternativen Quellen gesichert ist.
Heißt das eine Absage an die Energiewende, die seit rund zehn Jahren propagiert wird? Wenn man so will, ist sie ja erklärte Industriepolitik zugunsten erneuerbarer Energien, auch zugunsten von Photovoltaik….
Dr. Staudigl: Gegen die Energiewende mit ihrem propagierten Ziel ist nichts zu sagen, ganz im Gegenteil. Die notwendigen Technologien dafür gibt es grundsätzlich. Sie müssen aber erst zur Marktreife gebracht werden. Wenn man aber zum Beispiel bestehende kostengünstige Energieversorgungsanlagen durch neue, noch unwirtschaftliche ersetzen will, muss man mindestens die großen Stromverbraucher vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit schützen. Sonst verschwinden wichtige Technologien aus dem Land und wertvolle Mitarbeiter verlieren hochbezahlte Arbeitsplätze. Woran die Energiewende krankt, ist ihre Umsetzung. Es gibt zwar eine Kommission zum Ausstieg aus der Kernenergie. Es gibt eine Kommission zum Ausstieg aus der Kohle als Energieträger. Aber es gibt nicht mal im Ansatz eine Kommission zum Management der Energiewende mit der Mindestvoraussetzung, dass man erst dann die alten Strukturen abbaut, wenn die neuen einsatzbereit sind.
Was muss also passieren, um die Energiewende und den Klimaschutz zum Erfolg zu führen?
Dr. Staudigl: CO²-Emissionen müssen ohne Zweifel reduziert werden. Aber bitte weltweit. Die deutschen und europäischen Aktivitäten allein helfen dem Weltklima gar nichts. Die größten Beiträge müssen aus China und den USA kommen. Derzeit sind diese Länder aber eher verwundert, wie planlos sich Deutschland selbst die Wettbewerbsfähigkeit nimmt. Wir hätten in Deutschland im Verbund mit den europäischen Nachbarländern die einmalige Chance, der Welt zu demonstrieren, wie man von einer kernkraft- und kohlereichen auf eine nachhaltige, emissionsarme Energieversorgung umsteigt. Es muss einen Masterplan geben, der den möglichst kostengünstigen Aufbau der neuen Energieversorgung zum Inhalt hat und auch sicherstellt, dass energieintensive, moderne Produkte wettbewerbsfähig in Deutschland hergestellt werden können und keine hochwertigen Arbeitsplätze verloren gehen. Man muss der Bevölkerung gegenüber aber auch erklären, dass die Energiewende viel Geld kostet und auch Unannehmlichkeiten in Form von großen Windkraft-, Photovoltaikanlagen und Gaskraftwerken sowie Übertragungsnetzen mit sich bringt. Wer das nicht zugeben will, handelt unredlich.
Das Interview für Heimatwirtschaft führte Ernst Deubelli.
Quelle: Alt-Neuöttinger/Burghauser Anzeiger/Passauer Neue Presse