It’s the energy, stupid!
Die Formel ist relativ einfach: Energie = Wohlstand.
Denn sie ist die Basis für industrielle Produktion. Energie wird in chemischen Prozessen dazu verwendet, Bindungen zu brechen und neu zu knüpfen. Sie geht damit nicht verloren, sondern wird in den chemischen Verbindungen gespeichert, die wiederum Ausgangspunkt für weitere Verarbeitungsschritte sind. So entstehen aus der Chemie heraus dann ganze Wertschöpfungsketten – von A wie Arzneimittel bis Z wie Zahntechnik. Und auch in anderen Prozessen der Grundstoffindustrie (Glas, Keramik, Stahl, Papier) wird Energie als Rohstoff benötigt.
Der Bedarf an Energie für unsere moderne, immer komplexere High-Tech-Welt wird weiter steigen. Sowohl auf mikroskopischer als auch makroskopischer Ebene kann man im Sinne einer Faustformel sagen: Höhere Komplexität und Entwicklungsstadien brauchen mehr Energie. Ein plakatives Beispiel sind die steigenden Strommengen, die für die Rechenleistung von KI-Servern benötigt werden.
Positiv gesagt, kann man also nahezu jede technologische Herausforderung am Ende mit genügend Energie lösen. Das gilt auch für die Energiewende und die Klimaneutralität. Wenn man es schafft, erneuerbare Energien in ausreichender Menge verfügbar zu machen, dann ist eine klimaneutrale Welt möglich. Die Technologien dafür gibt es – und sie basieren übrigens maßgeblich auf Innovationen der Chemie.
Vor diesem Hintergrund muss man das Dilemma der aktuellen Energiepolitik betrachten. Mit insgesamt dreistelligen Milliardenbeträgen an EEG-Förderung haben wir gewaltige Mengen an Kapazitäten von erneuerbaren Energien installiert. Soweit so gut. Leider haben wir den Ausbau der Netze zu lange schleifen lassen und hinken hinterher. Auch Speicher fehlen. Wir haben also ein physikalisches Verteilungsproblem. Währenddessen haben wir Abschaltpläne umgesetzt (Atomenergie) bzw. vorskizziert (Kohleausstieg) und nehmen damit grundlastfähiges Energiedargebot aus dem Markt. Da wir in den Zeiten ohne Wind und Sonne die Versorgung trotzdem sicherstellen müssen, brauchen wir zusätzliche Back-up-Kapazitäten (Gaskraftwerke, H₂-ready). Hier setzt die Kraftwerkstrategie an. Und zudem braucht es dann auch eine Infrastruktur und Bezugsquellen für Wasserstoff sowie perspektivisch auch für CO₂.
Das alles gibt es nicht zum Nulltarif – die Kosten explodieren und wir haben im internationalen Vergleich mitunter die höchsten Strompreise plus exorbitante Nebenkosten wie Netzentgelte. Dieser im Rückblick eher „wenig strategische“ Ansatz beim Umbau unseres Energiesystems hat am Ende also dazu geführt, dass für die gewünschte Transformation nahezu der gesamte Kostendruck auf die Stromversorgung fokussiert wurde.
Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Wir erinnern uns: Energie – und in einer erneuerbaren Welt vor allem Strom – ist DER Wohlstandsgarant und technologische „Problemlöser“. Gerade den machen wir aber nun so teuer, dass sich die energieintensive Industrie als Basis wichtiger Wertschöpfungsketten im internationalen Wettbewerb nicht mehr halten kann.
Die Folge: Deindustrialisierung statt Transformation. Dabei ist es übrigens auch ein Irrglaube, dass man „chirurgisch“ einzelne energieintensive Prozesse herauslösen und woanders durchführen kann. Oder, dass diese Prozesse in anderen Weltregionen irgendwie klimafreundlicher sind.
Gerade in der Chemie bauen Prozesse oftmals aufeinander auf und sind eng verzahnt – es hängt alles zusammen. Ist der energieintensive Prozess nicht mehr wettbewerbsfähig, fallen auch andere daran gekoppelte Prozesse weg. Es drohen Kaskadeneffekte bis hin zu einer Wertschöpfungskettenverlagerung. Schafft man hingegen das Szenario eines planbaren, wettbewerbsfähigen Strompreises und sichere Stromverfügbarkeit, gewinnt man Wettbewerbsfähigkeit zurück und incentiviert zugleich gewünschte Investitionen zur Elektrifizierung.
Die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD skizzierten Maßnahmen (Stromsteuersenkung, Senkung und Deckelung der Netzentgelte, Ausweitung der Strompreiskompensation, Industriestrompreis für bestimmte Unternehmen etc.) lassen hier hoffen. Am Ende ist auch nebensächlich, über welchen Weg das Ziel erreicht wird (ob durch ein Maßnahmenpaket oder die direkte Einführung eines Industriestrompreises). Es zählen messbare Erfolge – und das möglichst schnell, bevor die industrielle Basis weiter Schaden nimmt.
Dabei sind wir auch überzeugt, dass diese Investition in den Industriestandort am Ende ein Business Case für den Staat und die Gesellschaft insgesamt ist.
Erste Priorität politischen Handels muss ein wettbewerbsfähiger Strompreis für energieintensive Wertschöpfung von ca. 4 ct/kWh sein – all in, d.h. mitsamt aller Nebenkosten, wie Netzentgelte etc.
Fotos und Grafiken: iStock-1388802796, iStock-2151679115, iStock-1363303764 sowie Bayerische Chemieverbände