Ein Blick in die Tariflandschaft zeigt, dass das Verhandlungsklima in einigen Branchen deutlich rauer geworden ist. Die Bereitschaft, eigene Forderungen durch Streiks durchzusetzen, steigt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Rechtsprechung einen seit Jahrzehnten gültigen Grundsatz aufgegeben hat: den Grundsatz der Tarifeinheit, d.h. „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“. Als eine tragende Säule der Sozialen Marktwirtschaft hat sich die Tarifautonomie bewährt. Eine funktionierende Tarifautonomie baut aber immer auch darauf, dass nach einer Zeit des Verhandelns eine Zeit des Betriebsfriedens folgt. Dass Verhandlungen auch ohne Streiks auskommen können, haben die Tarifvertragsparteien in der chemischen Industrie nunmehr über 40 Jahre hinweg eindrucksvoll gezeigt.
Der Gesetzgeber ist aber dennoch dringend aufgerufen, hier Klarheit zu schaffen und die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Die in der chemischen Industrie gelebte Sozialpartnerschaft ist dabei alles andere als ein „Schmusekurs“, durch den unterschiedliche Interessen einseitig oder mit faulen Kompromissen geregelt werden. Sie ist eine innere Haltung im Umgang mit möglichen Konflikten auf Augenhöhe. Sie baut auf Vertrauen, gegenseitigen Respekt, gemeinsamen Gestaltungswillen und der Erkenntnis, dass man im globalen Wettbewerb nur gemeinsam bestehen kann. Die Bereitschaft und Fähigkeit zum Kompromiss ist daher für beide Seiten überlebenswichtig. Die Chemie-Sozialpartnerschaft und ihre innovative und flexible Tarifpolitik gehören zum Fortschrittlichsten, was der Tarifsektor zu bieten hat. Beide haben dazu beigetragen, Krisen zu überwinden und im internationalen Wettbewerb zu bestehen – ihnen gehört die Zukunft.
Die Bayerischen Chemieverbände fordern Parlament und Bundesregierung auf, den Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich zu verankern. Wir betrachten die Tarifeinheit als unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Chemie-Tarifsystems. Eine Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit hätte zahlreiche negative Konsequenzen. Ohne Tarifeinheit werden Partikularinteressen bevorzugt – den Preis zahlen alle anderen. Es braucht jetzt die politische Entscheidung, die grundgesetzlich normierte Tarifautonomie so auszugestalten, dass sie auch in Zukunft eine wichtige Säule der Sozialen Marktwirtschaft sein kann.
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